blauerfalke: (erzählen)
blauerfalke ([personal profile] blauerfalke) wrote2011-10-30 11:51 am
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Besser is mit Gürskgen

"Hape Kerkelings Kein Pardon - das Musical" in Düsseldorf

Ich war schon ewig nicht mehr im Capitol Theater. Das ehemalige Straßenbahndepot hat sich in all der Zeit kaum verändert, nur im Foyer ist ein bißchen mehr Kunst und die Castliste gibts jetzt elektronisch auf Bildschirmen und nicht mehr auf der Litfasssäule, auch wenn sie die noch haben. Das Gebäude kann seine Vergangenheit nicht leugnen, aber im Grunde mag ich das Theater. Es ist groß, aber nicht überdimensioniert, die Sicht ist auch von ganz hinten okay, und die Akustik auch. Persönliches Memo: die ungeraden Reihen sind erhöht.
Das größte Manko am Capitol besteht nicht für die Zuschauer, sondern für die Produzenten: es hat keine Hinterbühne und keinen nennenswerten Schnürboden.


"Kein Pardon" sollte eigentlich letzten Donnerstag in die Previews starten, hat die ersten drei aber gleich mal abgesagt, weil sie Probleme mit der Drehbühne hatten. Wir hatten Karten für Samstag Abend, und die Show fand statt - die erste überhaupt, also was ganz Besonderes. Und nachdem ich sie gesehen habe, weiß ich auch, warum sie bei auch nur dem kleinsten Problem mit der Drehbühne nicht spielen können: sie brauchen sie. Ununterbrochen. "Les Misérables" oder auch "Mozart!", die ihre Drehbühnen schon exzessiv nutzten, sind nichts dagegen. Man sollte mal stoppen, wieviele Minuten der gut zweieinhalb Stunden Spielzeit das Ding sich nicht bewegt...

Das Musical basiert auf dem gleichnamigen Film. Ich habe ihn nicht gesehen - und war da wahrscheinlich der einzige im ganzen Theater - aber es ist wohl doch dicht dran, hat nur ein anderes Ende. Es geht um einen Jungen aus Bottrop, der Fan des Showmoderators Heinz Wäscher ist, erst in dessen Show Kabelträger wird, dann selbst der Moderator, zum Kotzbrocken mutiert und am Ende die wahren Werte im Leben erkennt und die erste Kochshow im deutschen Fernsehn erfindet. Unterbrochen wird diese Handlung von diversen Songs aus der Feder von Achim Hagemann und Thomas Zaufke, Text Thomas Hermanns.Zumindest Herr Hagemann war zur Show anwesend, den haben wir durchs Foyer laufen sehen.

Beginnen wir mit dem Positiven: Sie haben eine ausgezeichnete Cast. Auch mit dem Abstrich, daß es die erste Show vor Publikum war, waren sie richtig gut, das wird also in den nächsten Wochen sicher noch besser werden. Enrico de Pieri spielt Peter Schlönzke, den Jungen aus Bottrop Beach ("Wir haben die heißesten Sommer im Ruhrgebiet. Wir sind sowas wie das Miami Beach vom Pott.") mit Charme, Charisma und schöner Stimme. Roberta Valentini als Ulla, die ich zuerst für einen Love Interest hielt, die sich dann aber doch nur als sympathische Stichwortgeberin entpuppt, überzeugt durch kraftvolle Stimme und lässiges Auftreten in ihrer rebellischen Mini-Rolle. Und Dirk Back als Heinz Wäscher ist der Garant dafür, daß diese Show überhaupt läuft. Er ist nicht nur der, den ohnehin alle sehen wollen, sondern zeigt auch als Heinz und Uschi eine Menge komisches Talent. Er ist sicher nicht der größte Sänger dieser Cast, aber es ist seine Bühne. Er ist einfach ein fantastischer Entertainer, und seine "Ruf Heinz an"-Nummer im zweiten Akt ist das große Highlight des Abends.
Ansonsten führt die Castliste noch einen prominenten Namen wir Reinhold Brussmann, den ich nichtmal erkannt habe, der nichtmal ein halbes Lied singen darf, und dessen Traum es wahrscheinlich einfach schon immer war, mal als Tomate verkleidet auf einer Bühne zu erscheinen, großer Kerkeling-Fan ist oder Düsseldorf liebt und gerne da spielt. Oder sie zahlen verdammt gut...

Weiterer Pluspunkt: sie haben eine großartige Tanzcast, und die ist so groß, daß sie die ganze Bühnenbreite problemlos ausfüllt. Außerdem haben sie einen Choreographen - oder eine Choreographin, die offizielle Homepage schweigt sich darüber aus - der wirklich weiß, was er tut. Die Chroeographien enthalten naturgemäß viele Kicklines und klassische Showmoves, weil die Cast meistens ein Fernsehballett darstellt, aber selbst dann sind sie schmissig, rasant, energievoll und machen einfach Spaß. Wenn mehr Freiheit zur Verfügung steht, sieht es noch besser aus. Alleine die Nummer mit den sehr vielen Heinzes war nicht nur von der Idee (Regie: Alex Balga), sondern auch von der Choreographie fantastisch umgesetzt. Für mich ist der/die Namenlose Verantwortliche für die Schritte ganz klar der Favorit des Kreativteams. Jemand, der weiß, wie man seine Tänzer sinnvoll ins Bild integriert und Ideen hat, das stimmig umzusetzen. Großes Lob. Es ist vielleicht nicht spektakulär, okay, aber es hat einfach gepaßt. Hat mir sehr gut gefallen.

Insgesamt gesehen ist die Show allerdings... Quatsch. Die Musik bietet alles von Showtunes bis 80er-Rock, nur kein einheitliches Bild, was noch mehr zu dem Eindruck einer Nummernrevue beträgt, auch wenn die Show einen durchgängige Handlung hat. Die Songs unterbrechen die Show eher anstatt sie weiterzutragen. Aus dem Film stammen dabei nur "Witzichkeit kennt keine Grenzen" und das Batzen-Jingle, außerdem bringen sie als Finalsong "Das ganze Leben ist ein Quiz", das nicht zum Film gehört, aber so bekannt ist, daß das Publikum spontan mitsang. Ich hätte doch wetten sollen, daß sie das Lied noch bringen... egal. Da alle drei Lieder aus der Feder von Achim Hagemann stammen, hat er damit die großen Abräumer der Show geschrieben. Beim ersten Ton wird wie wild gejubelt, applaudiert und dann den ganzen Song enthusiastisch mitgeklatscht (außer das Jingle, das eignet sich da nicht für). Der Deutsche an sich klatscht ja gerne mit, und das bedient die Show bis zum Exzess. Witzichkeit wird mindestens viermal gespielt und das Quiz auch noch dreimal. Ähnliche Begeisterung erreicht nur noch "Die Biene Maja" von Karel Gott in der Version unseres Hauptdarstellers Enrico di Pieri schön gesungen und enthusiastisch vorgetragen, was auch sofort zu begeistertem Mitklatschen führte.
Ach ja, und das "Helau" für die rheinische Version von Wiztischkeit, immerhin waren wir in Düsseldorf. Wenn sie das Stück jemals in Bottrop spielen, wird auch der Lobgesang auf das Ruhrgebiet im zweiten Akt sicher frenetisch gefeiert werden, jede Wette.
Im Ganzen ist es eine Aneinanderreihung von Liedern, die nicht zusammen passen, mal nett sind, mal nicht, mal gute Nummern ergeben, mal nicht, und im Grunde so vollkommen egal sind, daß man sie auch weglassen könnte und die Show als Schauspiel spielen. Das könnte sogar ein Vorteil sein, denn dann wäre sie eine halbe Stunde mindestens kürzer. Nur schade um die oben erwähnten Auftritte der Tanzcast wärs.

Sie haben im zweiten Akt sogar eine Traumsequenz, die sehr symbolisch und bedeutungsschwanger daherkommt, und wo ich erst nach dem aprupten Ende verstanden habe, daß die Tänzer ein Testbild darstellten. Das paßte am allerwenigsten in die Show, denn die will ja eigentlich eine Comedy-Show sein.

Wäre das nicht genug, bietet die Show auch keinerlei Charaktere an, die sich irgendwie über ein Klischee oder eine grobe Rollenskizzierung hinausentwickeln. Nichtmal Peter Schlönzke macht irgendeine echte Entwicklung durch, weil er dafür kaum Zeit bekommt. Es dauert bis zur Pause, bis er überhaupt mal sein Idol anschreit, danach muß die eigentliche Charakterentwicklung zum arroganten Star und zurück in einem Akt abgewickelt werden, der auch noch drei lange Musiknummern hat - Zeit ist also knapp, und so ist einem das alles auch schon wieder wurscht. Mich stört zudem noch der Charakterbruch am Ende vom ersten Akt, weil der ungebildete Junge aus'm Pott spontan metrisch korrekt auf Polnisch und Französisch den Witzichkeit-Titelsong singen kann. Das ist für einen Lacher gut, killt aber den Hintergrund von Peter. Oder er hat seinen Beruf verfehlt und sollte Übersetzer werden. Könnte man die zweite Hälfte darüber machen, das wäre doch vielleicht auch spaßig...

Dem anwesenden Publikum hat es gefallen. Der Saal tobte, vor allem bei den bekannten Nummern und wenn Dirk Bach auftrat (oder beides). Wahrscheinlich ist das die Zielgruppe - Kerkeling- und Bach-Fans, Fans des Films oder alles zusammen werden einen Riesenspaß haben. Musicalfans sollten überlegen, ob sie diese Art von Stück mögen... spontan fällt mir nur ein einziges ein, daß sich auf einem ähnlichen Niveau bewegte, und das war "Keep Cool" von und mit Marco Rima. Aber das nahm sich dabei nicht ernst, hielt sich selbst nicht für ein richtiges Musical und war mehr eine one-man-show als etwas anderes. "Kein Pardon" erfüllt keins der drei Kriterien und ich fühlte mich auch nicht mal mehr gut unterhalten. Genaugenommen habe ich mal kurz drüber nachgedacht, ob "Million Dollar Quartett" nicht doch die bessere Show war, einfach, weil sie fast eine Stunde kürzer ist (sonst könnte man die beiden Shows auch eher schlecht vergleichen *g*).

Fazit: eine erstklassige Cast in einem Stück mit wenigstens nicht störender Musik und einem Buch, das so schlecht ist, daß ich mich frage, wieviel Zeit Kerkeling und Hermanns dafür eigentlich aufgewendet haben. Zwei Stunden? Von zwei so großartigen Komikern hatte ich mehr erwartet. Sehr viel mehr.

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