blauerfalke: (Falke)
[personal profile] blauerfalke
Mehr oder weniger Verfilmung des gleichnamigen Musicals von Schönberg und Boublil nach dem ebenfalls gleichnamigen Roman von Victor Hugo (Oder zumindest nach einem winzigen Ausschnitt aus besagtem Roman-Mammutwerk - ja, ich habe es gelesen. Musical bildet.)


Ich hatte im Vorfeld die Castaufnahme gehört, und als Castaufnahme ist es mit Sicherheit die schlechteste, die ich jemals von Les Miz gehört habe. Also hatte ich die Hoffnung, dass es als Film mit Musik funktioniert, und das tut es tatsächlich. Mich störte ein wenig der Bruch in den Stimmen zwischen Originalgesang und synchonisiertem Sprechtext. Ich finde, da hätte man auch komplett untertiteln können, die paar Sätze hätten es jetzt auch nicht mehr gemacht. Wie gut ihre Untertitel waren, möchte ich mir keine Meinung anmaßen, denn ich habe mein Möglichstes versucht, sie zu ignorieren. Ich weiß ja eh, was sie singen, und auch wenn sie ein paar Textzeilen geändert haben, stellte das trotz Genuschel bei einigen Leuten kein echtes Problem dar. Ein paarmal bin ich aber doch in die Untertitel gerutscht, und dann ganz schnell wieder weg, denn z.B."I will run him off his feet" mit "Ich habe das schnellere Bein" zu übersetzen... die Untertitel paßten nicht ins Versmaß, da waren sie vollkommen frei, muss dabei wirklich sowas rauskommen? Auch ist "now my friends are dead and gone" schon inhaltlich dasselbe wie "meine Freunde sind jetzt tot", aber das Deutsche klingt schon irgendwie platter. Also, besser nicht mitlesen, wer weiß, was sie da noch so hatten. Ich meine "mein Weltbild wird dunkel" gelesen zu haben, aber das kann ich nicht beschwören... wenns da stand, das hat er zumindest nicht gesungen.

Abgesehen von den Untertiteln gibt es natürlich auch noch anderes zu sehen, und da ist es sicher die schonungsloseste Verfilmung von Les Miz, die ich je gesehen habe. Dreck, Schmutz, Blut, aber nicht in großem Rahmen, sondern auch die Charaktere konzentriert. Das jeweilige Umfeld bleibt klein und intim, bis auf wenige Kameraeinstellungen, die Monumentalbauten oder rieisige Panoramen zeigen, und dann für mich auch fast immer störend wirken. Les Miz ist bei aller Kulisse ein Kammerstück, und das haben sie gut eingefangen. Sie waren mutig genug, ganze Lieder im Vollcloseup des Sängers zu zeigen, ohne einmal die Kamera zu bewegen. Hut ab. Das läßt einen den Charakteren und ihrem Leid sehr nah kommen, und macht den Film sehr unmittelbar und angenehm wenig effektheischend.

Ich beginne jetzt bewußt mit Russel Crowe. Ich mag ihn nicht, ich hatte das Schlimmste befürchtet, aber es war dann doch nur schlecht und nicht furchtbar, und nicht alles davon ist Mr.Crowes Schuld. Er hat eine nette Stimme, aber mit dem Part von Javert ist er überfordert. Das ist keine Schande, sondern eher dem Casting anzukreiden. Er klingt rau, undeutlich und bringt nicht die Möglichkeiten mit, in den schweren Passagen mit Kraft oder Gefühl zu singen, weil er damit beschäftigt ist, die Töne zu singen. Außerdem sieht er nicht aus, wie ich mir Javert vorstelle. Er zeigt nichts von dem, wie ich mir Javert vorstelle. Weder den arroganten, von der Unantastbarkeit des Gesetzes überzeugten Bluthund, der Valjean zur Strecke bringen will, noch den zerissenen Menschen, der daran zerbricht, dass er nicht damit umgehen kann, dass Valjean Gnade walten läßt. Er ist weder besessen genug, noch arrogant genug, noch selbstsicher genug, noch stur genug, also ist auch der Bruch nicht glaubhaft. Außerdem hatte die Regie den abstrusen Einfall, ihn während "Stars" auf einer sehr hohen Balustrade gegenüber von Notre Dame direkt am Abgrund balancieren zu lassen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem Javert ein vollkommen nüchterner, rationaler, von seiner Mission überzeugter Mensch ist. Warum sollte so jemand im fünften Stock auf Geländern herumbalancieren? Das Gleiche macht er dann unmittelbar vor dem Selbstmord wieder, auf der Brücke über der Seine, und da ist es genauso spielerisch-sinnlos. Beide Szenen haben immer wieder große Totalen mit tollen Ansichten des nächtlichen Paris oder der Seine, was von der Figur ablenkt und sie belanglos erscheinen läßt im Gegensatz zu anderen Figuren, auf die die Kamera sich konzentriert. Auch das Anstecken seines Ordens an den toten Gavroche ist nicht Javert. Paßt einfach nicht. Hier kommen also mehrere Probleme zusammen, das konnte für mich nichts mehr werden. Sehr schade.
Wahrscheinlich mochte der Regisseur Javert einfach nicht.

Helena Bonham-Carter und Sacha Baron Cohen, die die Thenardiers geben, sind nett, auch mal spaßig, aber eher belanglos. Ich gebe zu, ich war froh, dass sie den Song von Thenardier in der Kanalisation gestrichen haben und auch ein paar andere Szenen recht schnell gingen, damit es zum eigentlichen Geschehen zurückgehen konnte. Irgendwo muss man ja kürzen, und da waren die Thenardiers eine gute Wahl.

Samantha Barks als Eponine singt toll, spielt toll und macht einen rundum richtig guten Job. Die Regie unterstützt sie, sie darf sich sogar vor das Gewehr werfen und sterben, um Marius unmittelbar das Leben zu retten. Ihre Sterbeszene habe ich natürlich komplett durchgeheult, gar keine Frage.

Marius (Eddie Redmayne) bekommt das Privileg zugestanden, "Empty Chairs at Empty Tables" ohne Musik beginnen zu dürfen. Er bekommt genug Zeit für seinen Charakter, auch wenn der vor allem als verliebter Träumer charakterisiert wird, aber das funktioniert gut. Wie immer bleibt Cosette (Amanda Seyfried) blass, aber das liegt an der Rolle. Stimmlich ist sie nicht immer ganz sicher, aber wenn sie anfängt zu singen, ist man schon ganz andere Dinge gewöhnt, da macht das nun wirklich nichts mehr. Ganz große Klasse dafür Daniel Huttlestone als Gavroche. Toll gespielt, toll gesungen, großartig. Alles rausgeholt, was ging. Sehr beeindruckend.

Auch die Studenten bekommen angenehm viel Zeit, auch wenn sie an den Barrikadenszenen und Songs herumgekürzt haben. Aaron Tveit als Enjolras fand ich großartig. Stimmlich problemlos, toll gespielt, und die Regie gab ihm nicht nur Interaktion mit Marius, sondern tatsächlich auch mit Grantaire (George Blagden), was mir persönlich immer sehr wichtig ist. Leider wurde Grantaires Strophe in "Drink with me" gestrichen, aber das habe ich ihnen mehr als verziehen, als die Barrikade fiel. Nicht nur, dass das im Ganzen eine sehr brutale, erschreckende und einfach großartig gemachte Sequenz ist, sie lassen tatsächlich als Letzten Enjorlas übrig, den die Armee im ersten Stock der Taverne stellt. Als sie ihn erschießen wollen, stürmt Grantaire die Treppe hoch und stellt sich neben ihn, um sich mit erschießen zu lassen. Ich habe sowas von geheult... wenn Les Miz auf der Bühne gut gespielt wird, kann man viel von dem Wechselspiel dieser zwei so unterschiedlichen Charaktere sehen, aber das jetzt... dafür möchte ich mich einfach mal bei der Regie bedanken. Dass sie sich da wirklich die Mühe gemacht haben, einem Nebencharakter wie Grantaire gerecht zu werden.

Anne Hathaway als Fantine ist rollengemäß sehr schnell tot, und um sie habe ich natürlich auch geweint. Wäre auch schlimm, wenn nicht, Fantines Tod ist immer die erste große Schwelle im Stück. Sie haben ihre letzten Sätze geändert, genauso wie Valjeans später, das fand ich schade, aber sie hat toll gespielt und ein tolles "I dreamed a Dream" gesungen, vollständig im close up ohne dass die Kamera einmal von ihrem Gesicht weggegangen wäre. Sie hat einen Oscar dafür bekommen, und den gönne ich ihr.

Gerechter hätte ich es allerdings gefunden, wenn sie Hugh Jackman einen gegeben hätten. Nein, er kann die Rolle nicht singen. Seine Stimme ist nicht klar genug, nicht voll genug, nicht hoch genug. Er sieht kein bißchen so aus, wie ich mir Valjean vorstelle. Er ist auch nicht der gütige, väterliche, tiefgläubige Mensch, als den ich mir Valjean vorstelle. Aber alles das ist spätestens nach "Who am I?" vollkommen egal. Hauptsache, er singt einigermaßen grade (und das tut er, er singt sehr grade, und er wendet oft genug die bekannte Musicalregel "ich kann es nicht singen, also spreche ich es, dann ist es wenigstens emotional" an), dann wird sich der Rest schon finden. Und er findet sich, und wie. Musicaltechnisch gesehen war "Bring him home" furchtbar, filmtechnisch gesehen war es machtvoll und großartig. Vieles in Valjeans Charakterentwicklung geht zu schnell und passiert zu abrupt, und das tut mir leid. Da hätten sie lieber "Suddenly" weggelassen, denn das ist eindeutig der schwächste Songs des Films (und wurde ja auch extra für den Film geschrieben, ich hoffe, dass sie das jetzt nicht in die Show übernehmen wollen). Auch Mr.Jackman fehlt oft einfach die Kraft in der Stimme, und auch bei ihm nehmen sie einigen Momenten einfach die Intensität, indem sie mit der Kamera rauszoomen, aber auch das ist vollkommen egal. Eigentlich verzeiht mal Mr.Jackman und der Regie einfach alles, alleine für sein intensives Spiel. Ich gebe zu, ich habe Mr.Jackmann nie für einen Top-Schauspieler gehalten, aber das muss ich wohl revidieren. Absolut großartig. Immer, wenn ich die Leuchter sah, fing ich wieder an zu weinen, und das ist der Verdienst eines guten Valjeans.
Ich würde sagen, die eine Hälfte seiner brutal direkten Emotionalität verdankt der Film alleine Mr.Jackmann, und von der anderen Hälfte geht nochmal das Meiste auf das Konto der großartigen Musik. Les Miz ist nicht umsonst einer der großen modernen Musical-Klassiker.

Zum Schluss noch eine Erwähnung von Colm Wilkinson als als Bischof. Es ist beinahe ein bißchen ironisch, wenn der beste Sänger der gesamten Besetzung eine so winzige Nebenrolle spielt, aber auf der anderen Seite ist auch wieder unglaublich beeindruckend, was ein solcher Sänger in diese wenigen Sätze legen kann. Wow.

Fazit: Ich habe nicht um Javert geweint. Das ist ganz schlecht. Ich habe quasi um jeden anderen geweint und sogar während "Bring him home", was ich sonst nie tue. Das spricht für den Film. Ich habe selten in einem Film so lange und anhaltend geweint wie in diesem, auch das wäre besorgniserregend, wenn das nicht der Fall gewesen wäre, denn während der Bühnenshow weine ich mehr oder weniger die ganze zweite Hälfte. Ein paar Dinge in der Handlung waren seltsam, sowohl in Ausführung also auch Reihenfolge, aber gut, sie haben es halt nicht 1:1 verfilmt und die Änderungen waren nicht immer zum Schlechteren. Für so viel Charakterisierung von Enjolras verzeihe ich ihnen die Fehlbesetzung von Javert. Ich bin schwer beeindruckt von dem, was Hugh Jackman schauspielerisch geleistet hat. Und ich bin ihnen böse für das, was sie mit Javert gemacht haben.
Zum Glück ist Les Misérables einfach viel zu anstrengend, um den Film mal eben so als Unterhaltung zu gucken. Auch wenn er kürzer ist als das Musical.

Date: 2013-02-28 07:27 am (UTC)

Date: 2013-02-28 12:16 pm (UTC)
From: [identity profile] blauerfalke.livejournal.com
Valjean ist ein ehemaliger Sträfling. Als solcher muß er überall seine Papiere vorzeigen, findet keine Arbeit und keine Aufnahme. Ein Bischof nimmt ihn über Nacht in sein Haus auf, bewirtet ihn und behandelt ihn freundlich. Valjean stiehlt in der Nacht dessen Silber. Er wird erwischt, er behauptet, der Bischof habe ihm das Silber geschenkt. Man schleift ihn vor den Bischof und der bestätigt die Lüge. Um das zu bekräftigen schenkt er Valjean noch zwei silberne Leuchter - unter der Bedingung, dass Valjean all das Silber verwendet, um ein ehrlicher, gottesfürchtiger Mann zu werden. Valjean ist zutiefst beeindruckt von der Güte des Mannes und wandelt sich tatsächlich zum guten Menschen. Er nutzt all das Silber, um sich eine neue Existenz aufzubauen und Gutes zu tun, nur die beiden Leuchter behält er. Als Mahnmal für sich und als Erinnerung an die Güte Gottes.

Symbolisch halt. ;)

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