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Erfurt ist die Landeshauptstadt des Bundeslandes Thüringen. Es hat ca 200 000 Einwohner und liegt an der Gera, die sich im Stadtgebiet in Massen von Haupt- und Nebenarme, Mühlenbäche und Flutgräben unterteilt. Es hat über 200 Brücken und trägt darum (wie viele andere Städte auch), den Beinamen "Venedig des Nordens", hat massenweise Kirchen, heißt darum auch "Rom des Nordens" und hat eine traditionsreiche Uni mit langer Geschichte in allen vier damals klassischen Fächern, und heißt darum auch "Bologna des Nordens". Außerdem ist es die Mutter der Reformation, denn hier hat Luther studiert, hier trat er ins Kloster ein und hier hat er seine formativen Jahre verbracht, bevor nach Wittenberg berufen wurde, wo er dann bekanntlich seine Thesen schrieb.
Nicht zu vergessen liegt Erfurt an der Kreuzung zweier wichtiger mittelalterlicher Handelswege, machte in Waid und war darum vor der Einführung des Indigo unglaublich reich. Das schlägt sich heute im Vorhandensein vieler schöner Kaufmannshäuser nieder und natürlich im Mariendom. Der ist eine Gründung des Heiligen Bonifatius und steht auf einem der zwei Hügel, die die sonst flache Stadt besitzt. Auf dem anderen ist eine Renaissance-Festung, die Festung Petersberg, die angemessen viele Eck-Bastionen hat, auch wenn sie weder von Pasqualini noch von Vauban ist. Der Dom wurde, wie das so üblich war, immer wieder erweitert, so lange, bis ihnen der Hügel ausging, so dass ein Teil des Doms jetzt auf einem wirklich beeindruckenden Unterbau steht. Es führen 70 Stufen vom Domplatz zum Dom, und auch der Domplatz ist sehr beeindruckend, denn er ist einfach riesig.

Da Erfurt lange Zeit zum Erzbistum Mainz gehörte, zeigt das Stadtwappen (wie das von Fritzlar) das Mainzer Rad. Der Stadtpatron ist (wie in Fritzlar) der Heilige Martin von Tours. Das Autokennzeichen ist EF.

Modern gesehen zeichnet sich Erfurt dadurch aus, dass es einen ICE-Knotenpunkt hat, im zweiten Weltkrieg beinahe ohne Bombentreffer blieb, darum im Zentrum echt hübsch ist, einen ÖPNV hat, der seinesgleichen sucht, sowie massenhaft Eisdielen und beeindruckend viele Buchläden. Und natürlich dadurch, dass der KiKa von Erfurt aus sendet.


Das Museum Alte Synagoge besteht, wie der Name schon vermuten lässt, aus der alten Erfurter Synagoge. Diese ist seit 1349, als die Stadt ein schweres Pest-Pogrom erlebte, nicht mehr in Betrieb, wurde erst durch einen Kaufmann als Lager, dann als Gaststätte mit Tanzsaal und Bowlingbahn verwendet, und über die Jahrhunderte hinweg komplett durch andere Gebäude umbaut, so dass ihre Existenz vergessen wurde. Daher ist das Gebäude heute nahezu unbeschädigt und die älteste erhaltene Synagoge Mitteleuropas.

Es gibt in der Alten Synagoge heute nichts mehr zu sehen, was wirklich mit dem Gotteshaus zu tun hat. Im Moment haben sie eine interessante Sonderausstellung, die sich mit der Architektur jüdischer Gotteshäuser beschäftigt - wir haben während der Führung gelernt, dass das Judentum eigentlich gar kein Gotteshaus braucht, zumindest das orthodoxe nicht. Es braucht nur zehn Männer und die heilige Schrift, dann kann überall Gottesdienst gefeiert werden. Und Synagogen sind in Deutschland wie die Kirchen nach Osten ausgerichtet, aber nicht, weil von da das Licht kommt, sondern weil da Jerusalem liegt. Also in etwa genauso wie im Islam mit Mekka.

Im ersten Stock kann man den Tanzsaal besichtigen, und sie nutzen ihn, um Faksimiles einer Thora und einer sehr beeindruckenden 50 kg-Bibel auszustellen. Einer jüdischen Bibel, wohlgemerkt. Wenn ich das richtig verstanden habe, entspricht das in etwa dem christlichen Alten Testament. Die Tora hingegen besteht nur aus den Fünf Büchern Mose.

Das eigentliche Prunkstück des Museums aber ist im Keller und besteht aus ca 30 kg Silber, die sich auf diverse Gebrauchsgegenstände, Schmuckstücke, Münzen und Silberbarren verteilen, die ein jüdischer Kaufmann auf der Flucht vor der Meute besagten Pest-Pogroms vergraben hat. Das gut erhaltene und bestückte Stadtarchiv ist so gut wie sicher, den Namen des Kaufmannes zu kennen - wenn sie Recht haben, dann ist er in besagtem Pogrom umgekommen. Der Schatz in seiner Gesamtheit ist einzigartig, und für die Forschung natürlich von unschätzbarem Wert.
Prunkstück ist übrigens ein jüdischer Hochzeitsring, einer von überhaupt nur dreien in Europa erhaltenen, und auch noch der mit Abstand größte und beeindruckendste der drei. Die anderen beiden sind in Colmar und Weißenfels.

Man kann das Museum auf eigene Faust besichtigen, mit einem kostenlosen Videoguide oder mit einer Führung. Wir haben uns für die Führung entschieden und hatten eine wirklich sehr gut informierte und sehr begeisterte Führerin, die von der Baugeschichte bis hin zu Bräuchen viele interessante Infos und Anekdoten geboten hat.

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