blauerfalke: (erzählen)
[personal profile] blauerfalke
von Ralph Erskine und Michael Smith (Hrsg.)

Es ist eine Sammlung von Essays über die Arbeit von diversen Abteilungen, die sich während des Ersten und Zweiten Weltkrieges, der Zwischenkriegszeit und dem Kalten Krieg mit dem Abhören, Abfangen und Entschlüsseln von Radiosignalen befasst haben. Nicht von Radiostationen, sondern dem kabellosen Verkehr der Streitkräfte, Diplomaten und zivilen Nachrichten. Im Zentrum des Buches steht die größte Legende dieser Zeit, Bletchley Park und die Entschlüsselung der Enigma.

Ich habe in einem anderen Buch eine Erklärung der Funktion der Enigma gelesen, die einfach genug gehalten war, dass ich ihre Funktionsweise zumindest in Grundzügen verstanden habe, und das hat beim Verständnis dieses Buches sehr geholfen. Alle Autoren geben sich Mühe, Grundlagen zu erklären, aber jeder von ihnen ist so hochkarätig, dass es oft schwierig ist, ihren Erklärungen zu folgen. (Mag auch dran liegen, dass mein Englisch dafür einfach nicht ausreicht - zu technisch.) Wenn es dann die Tiefe der Entschlüsselungsverfahren geht, habe ich ganz aufgeben müssen. Ich muss also zugeben, dass ich von den fast 500 Seiten des Buches gute 200 nicht oder nur teilweise verstanden habe. Und sicher auch nicht halb so viel behalten, wie gut gewesen wäre, auch wenn viele der Essays sich überlappen und Dinge darum mehrfach gesagt werden.

Ich wusste, dass die Engima entgegen der Legende nicht von Bletchley Park geknackt wurde, sondern von polnischen Mathematikern. Dieses Buch liefert die Namen dazu, der wichtigste ist Marian Rejewski. Ihm ist es zu verdanken, dass die Vorkriegs-Engima geknackt wurde, und dass Bletchley Park damit genug Wissen an der Hand hatte, um die verbesserten Modelle anzugehen. Auch die ersten "Bomben", die Maschinen, auf denen später Colossus und damit die ersten Computer aufbauten, waren aus Polen. Umso unverständlicher, dass Rejewski nach der Besetzung von erst Polen und dann Frankreich zwar nach England flüchten durfte, aber nie nach Bletchley Park eingeladen wurde.

Das Buch legt all das ausführlich dar. Es beginnt mit Room 40, dem Vorläufer von Bletchley Park im Ersten Weltkrieg, und legt großen Wert auf die Verdienste von Dilly Knox, von dem ich noch nie etwas gehört hatte, der aber in beiden Weltkriegen an vorderster Front an den Entschlüsselungen beteiligt war. Er war Linguist. Ich wusste auch nicht, dass Großbritannien ursprünglich nur Leute aus den klassischen Studien rekrutiert hat. Mathematiker haben sie erst dazu geholt, als sie von den polnischen Erfolgen erfuhren, denn das waren Mathematiker. Voher waren sie der Meinung, dass Mathematiker zu weltfremd und zu labil für solche Arbeit sind.

Es wird viel darüber berichtet, wer wann wen warum und wie abzuhören versucht hat, wer wann mit wem zusammengearbeitet hat oder auch nicht, und wann wo von wem welche Fehler gemacht wurden, die dazu geführt haben, dass etwas entschlüsselt werden konnte oder auch nicht. Es ist eine interessante und oft auch schwer zu durchschauende Mischung aus technischen Erklärungen und detaillierter Geschichte. Und es zeigt, welche Ausmaße das Unternehmen Bletchley Park hatte. Etwa 10 000 Leute. Das war mir auch nicht bewusst. (Russland hatte im Kalten Krieg geschätzte 350 000 Leute im Dechiffrierdienst, nur mal so als Vergleich.)

Ich habe noch immer nicht verstanden, wie genau man egal welche Chiffiermachine entschlüsselt (ja, es gab da auch andere, nicht nur Enigma). Ich war erstaunt darüber, wie viele Frauen auch in hochrangigen Positionen mitgearbietet haben, und wie bereitwillig ihre männlichen Kollegen ihre Qualifikationen und Leistungen berichten und anerkennen. Ich war sehr erstaunt, wie sehr sich Regierungen verschiedener Länder, die kooperieren, und Regierungsabteilungen untereinander im eigenen Land ständig gegenseitig behindern. Es ist also auch noch eine interessante Sozialstudie, über Denkweisen von Ministerien, einzelnen (Macht)Menschen, mehr oder weniger unkonventionellen Wissenschaftlern und großen Umbrüchen der gesellschaftlichen Strukturen über zwei heiße und einen kalten Krieg hinweg.
Und nein, Alan Turing hat den ersten Computer nicht eigenhändig gebaut. Weder Colossus noch einen anderen. Aber er hat einen Artikel verfasst, in dem quasi die Bauanleitung schon drinstand, bis hin zu den geschätzten Kosten.

Auf seine eigene Art sehr spannend, aber halt auch recht anstrengend. Da muss es doch auch was populärwissenschaftlicheres geben... Daran könnte ich dann testen, wie viel ich wirklich verstanden habe.

Date: 2020-10-28 08:17 pm (UTC)
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Ich dachte, der erste richtige Computer war Zuse? Aus... Hoyerswerda?

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