blauerfalke: (erzählen)
[personal profile] blauerfalke
von Heinz Liepman

Es gab mal eine Zeit, in der es Mode war, Biographien als Halb-Roman zu schreiben. Das muss irgendwann in den 50er/60er-Jahren des 20.Jahrhunderts gewesen sein, denn ich habe schon eine in diesem Stil, über Elisabeth II. Es wird die Lebensgeschichte erzählt, in einer Mischung aus faktischer Darstellung, aus Szenen mit Beschreibung und Dialog wie in einem Roman, und aus Kommentaren des/der Autors/Autorin, in denen er/sie darauf hinweist, wo er/sie nachgelesen hat oder wer dafür interviewt wurde und wann. Wenn man so drüber nachdenkt, so ist es die Buchversion einer modernen Geschichtsdoku. Die haben ja auch immer Spielszenen.

Ich persönlich mag in beidem keine Spielszenen. Ich mag die Mischung aus Fakten und Fiktion nicht, selbst wenn im Falle dieses Buches für die ein oder andere tatsächlich Transkskriptionen der Gespräche vorliegen können, denn mehrfach betont Herr Liepman, dass es zu einer Zusammenkunft oder Beratung einen Geheimdienstbericht oder gar eine Aufzeichnung des Gesprächs gibt. Trotdem hinterlässt es bei mir immer den Beigeschmack von künstlerischer Freiheit und verzerrten Bildern.
Ferner fand ich es nervig, dass bei jeder Erwähnung von Anna Wyrubowa, Vertrauter der Zarin, auch erwähnt wurde, dass sie dick und hässlich war. Als habe der Autor Angst, dass wir uns das nicht merken könnten, wenn er es nicht ständig sagt - nicht, dass es etwas gemacht hätte, wenn ich mir das nicht gemerkt hätte. Ich habe mir ja auch nicht gemerkt, wie der Bischof Hermogen aussah. Das tut auch genauso wenig zur Sache.

Zu Gute halten muss ich dem Buch, das es sehr flüssig geschrieben und unterhaltsam zu lesen ist, ohne dabei reißerisch zu werden, sich in wilden Theorien zu verlieren oder gar okkult-ominöse Bedrohlichkeit zu suggerieren. Herr Liepman betont mehrfach, dass er in der extrem glücklichen Lage ist, dass es Massen von Literatur über Rasputin gibt, auf die er zurückgreifen konnte, von Berichten und Protokollen über andere Biographien und sogar Romane, und dass er sogar noch in der Lage war, Zeitzeugen zu interviewen, unter anderem Rasputins Mörder, den Fürsten Jussupoff. Das war mir übrigens neu, dass nur eine Person mit Rasputin im Raum war, als er vergiftet wurde, die anderen zwar im Haus, aber in einem anderen Stockwerk.

Was also war Rasputin? Heiliger? Teufel? Ein armer Irrer? Auch das Buch kann es nicht klären, lässt aber alle Wunderheilungen und Vorhersagen Rasputins unkommentiert im Raum stehen, so dass im Ganzen das Bild eines Mannes entsteht, der selbst durch und durch davon überzeugt war, Gottes Stimme zu hören und von ihm berufen zu sein, und der darum die Kraft hatte, in anderen Menschen Dinge zu bewirken. Nicht das eines sympatischen Mannes, aber ganz sicher auch nicht das eines Dämons.

Und er war gegen den Krieg und hat versucht zu verhindern, dass Russland daran teilnimmt. Das hat mich am allermeisten überrascht - warum, kann ich nicht einmal sagen. Ich habe mir nie zuvor Gedanken darüber gemacht, wie Rasputin zu den Ereignissen stand, die zum Ersten Weltkrieg geführt haben. Auch wenn ich mir natürlich schon irgendwie darüber im Klaren war, dass er zu der Zeit gelebt hat.

Man muss es ein bisschen als Entertainment sehen, aber dann ist es ein gutes Buch, das sich offensichtlich um Objektivit für seinen Protagonisten bemüht (wenn auch weniger für die anderen Personen).

Profile

blauerfalke: (Default)
blauerfalke

June 2025

S M T W T F S
1234567
891011121314
15161718 192021
222324 25262728
2930     

Most Popular Tags

Style Credit

Expand Cut Tags

No cut tags
Page generated Jul. 1st, 2025 07:29 am
Powered by Dreamwidth Studios