Jun. 17th, 2024

Krabat

Jun. 17th, 2024 04:48 pm
blauerfalke: (erzählen)
Ballett mit einer Choreographie von Demis Volpi und Musik von Pêteris Vasks, Philip Glass, Krzysztof Penderecki, Christoph Kirschfink und einer Überarbeitung von "Die Gedanken sind frei" von Wolfgang Heinz, nach Motiven des gleichnamigen Buches von Ottfried Preussler

Es spielt das Ballett am Rhein Düsseldorf / Duisburg im Theater in Duisburg

Ende 2019 habe ich festgestellt, dass ich im 2-Stunden-Radius erstaunlich vieler Musiktheater lebe und entschieden, dass ich die doch einfach alle mal besuchen könnte. Dann kam die Pandemie und hatte ich genau eins davon geschafft. Zwischenzeitlich war ich auch noch in zwei weiteren (in denen ich aber vorher auch schonmal war), und dieses Mal war es ein neues. Theater Duisburg. Es handelt sich um eine Spielstätte der Oper am Rhein, eine Kooperation mit dem gleichnamigen Haus in Düsseldorf, und ist erstaunlicherweise doch ein Drei-Sparten-Haus, denn neben Opern- und Ballettensemble hat es auch noch ein Jugend-Schaulspielensemble. Außerdem ist es die Heimat der Duisburger Philharmoniker.
Das Theater selbst ist neo-klassizistisch und erinnert mit seiner weißen Farbe, dem Giebel und den Säulen davor stark an das Theater Aachen. Auch drinnen ist es ähnlich, auch wenn in Duisburg die Renovierung schon etwas länger zurückzuliegen scheint. Es hat zwei Ränge, ebenso wie Aachen, ist aber deutlich größer. Direkt gegenüber gibt es ein Parkhaus, das sogar einen Verbindungstunnel direkt ins Theater hat (und natürlich auch einen Theatertarif). Wir hatten aber großes Glück und haben einen Parkplatz direkt neben dem Theater bekommen, der sogar kostenlos war.

Das Ballett selbst wurde 2013/2014 in Stuttgart uraufgeführt, ist aber eine übearbeitete Neuauflage mit einigen Anpassungen, wie das Programmheft verrät (4 Euro, viele Farbfotos, diverse Informationen zum Stück plus Handlung und Besetzungs-Einleger, keine Biographien von Mitwirkenden). Diese sind vor allem der Tatsache geschuldet, dass das Stuttgarter Ensemble in seiner Ausrichtung klassischer und traditioneller ist als das Duisburger. Ich schätze also, dass die Choreopgraphie modernisiert wurde. Die Musik wurde bewusst aus Werken von bekannten Komponisten des 20.Jahrhunderts zusammengestellt. Sie enthält nur ein einziges für das Ballett geschaffenes Musikstück, das im Programmheft "Mühlenmusik" genannt wird. Es ist von Christoph Kirschfink und kommt vom Band, denn es wurde am 22.Mai 2012 in der Mäulesmühle im Siebenmühlental aufgenommen, es handet sich also um die arrangieren Geräusche der Mahlwerke einer Wassermühle. Sie erklingen jeweils zu Beginn von Akt 1 und Akt 2, wenn Krabat bzw. Witko in der Mühle ankommen und das Handwerk lernen, und schaffen eine sehr passende Atmosphäre. Es ist laut, es ist gewaltig, es ist mächtig, es ist rhythmisch, es wirkt unabdingbar und zwingend. Genau passend. Eine wirklich sehr gute Idee.
Der Rest der Musik ist modern, wird aber nie atonal, was ich persönlich sehr erleichternd fand. Mir ist nichts davon im Ohr geblieben - außer "Die Gedanken sind frei" natürich - aber im Behalten von instrumentaler Musik bin ich ohnehin eher schlecht, das muss also nichts heißen.

Modern, aber nicht zu modern gilt auch für das Ballett im Ganzen. Es ist kein klassisches, schwebendes Ballett, auch wenn es durchaus Elemente und Anklänge gibt, aber es ist auch nicht so modern und schräg, dass man sich fragt, was das Ganze eigentlich soll. Ein sehr guter Mittelweg also, der auch für jemanden wie mich, die sich mit modernem Ballett eher schwertut, noch sehr gut anzusehen ist. Demis Volpis Choreographie ist dynamisch, voller Energie und transportiert die Handlung klar und deutlich verständlich.

Bühne und Kostüme sind von Katharina Schlipf, und gerade, was die Bühne angeht, hat sie fantastische Arbeit geleistet. Die Kulisse besteht aus riesigen Wänden aus Mehlsäcken, die sich zum Teil von selbst bewegen können, und weiteren Mehlsäcken, die die Müllerburschen herumschleppen. Dazu kommt ein schwebendes Zauberbuch und ein Tuch mit einer aufgemalten Landschaft für die Szenen mit den Dorfmädchen. Dieses Tuch sieht nicht nur gut aus, sondern wird auch in der Szene, als Wroschula ihren Verstand verliert und in den Selbstmord getrieben wird, durch Schläge und Gezerre von hinten verfremdet, was stark zur Intensität der Szene beiträgt. Am Ende des Stücks bricht die Rückwand aus Mühlsäcken zusammen und die Müllersburschen können in das Licht dahinter entkommen, was dem Geist des Buches erstaunlich gut entspricht: Hoffnung und Freiheit, die für den Moment vergessen lassen, dass sie sonst nichts mehr haben.
Die Kostüme der Müllersburschen sind grau und generisch, Krabat inklusive, so dass ich stellenweise große Mühe hatte, ihn aus der Masse herauszufinden, und einmal für ein ganzes Solo geglaubt habe, es handele sich bei dem Tänzer um Krabat, und meinen Irrtum erst bemekrte, als der am Ende eben dieses Solos auf die Bühne rannte.
Dafür sind die Rabenkostüme einfach großartig. Fantastisch.

Der Meister trägt einen langen Mantel, der später dazu genutzt wird, um sein Angebot an Krabat, die Mühle zu übernehmen, und die Versuchung, die es darstellt, deutlich zu machen, der aber auch sonst dazu beiträgt, seine Kälte und Härte zu unterstreichen. Der Herr Gevatter ist eine Frau, trägt ein enges rotes Kleid, steht auf Absätzen/Stelzen/irgendwas und wirkt durch die verfremdeten Proportionen unwirklich und bedrohlich, und dreht dem Publikum fast ausschließlich den Rücken zu, während sie über die Schultern beschwörende Handbewegungen macht. Interessanter Kunstgriff.
Ein ebenso interessanter Kunstgriff waren die Masken, die die Mädchen tragen, die nur dünn und aus Stoff sind, die aber ihre Gesichtszüge sehr starr und unecht wirken lassen. Es ist auch einer, der die Handlung unterstützt, denn das Abnehmen der Maske ist mit Gefahr verbunden - den Namen zu kennen, verleiht dem Meister Macht über das Mädchen. Worschula nimmt ihre zum Beginn des Pas-de-Deux mit Tonda ab, was ihr Verhängnis wird, die Kantorka ihre erst, als sie kommt, um Krabat freizubitten.

Die Handlung folgt grob dem Buch und erstreckt sich über drei Jahre, die jeweils einen eigenen Akt haben. Akt 1 - Krabat kommt die Mühle, er und Tonda treffen die Mädchen, Worschula stirbt, der Gevatter fordert seinen Tribut ein. In Akt 2 wiederholt sich das Ganze, nur mit jetzt einem Pas de Deux für Krabat und die Kantorka, und Juro, der Krabat unterstützt, und in der Mitte mit dem Auftritt von Pumphut, der mit dem Meister ein Duell tanzt, gewinnt und dann wieder geht. Ich hatte an den Charakter keinerlei Erinnerung, habe zwischenzeitlich nachgelesen und gelernt, dass er tatsächlich vorkommt, aber nur im Rahmen einer Geschichte. Ein freier Müllergeselle, ein mächtiger Magier, der durch die Lande zieht und dafür sorgt, dass die Meister ihre Gesellen einigermaßen anständig behandeln.
Am Beginn von Akt 3 fehlt die Mühlenmusik, und dann geht es auch recht schnell in die Szene über, in der die Kantorka Krabats Freiheit erbittet, der Meister versucht, es zu verhindern, und sie ihn dann unter den Raben herausfindet. Übrigens dadurch, dass sie spürt, dass er Angst um sie hat. Persönlicher Pluspunkt dafür.
Szenen mit Magie fehlen also so gut wie völlig, niemand verwandelt sich in irgendein Tier, um verkauft zu werden oder dergleichen. Auf die Essenz reduziert, aber dafür auch ohne jede Vorkenntnisse gut verständlich.

Es ist düster genug, um der Vorlage gerecht zu werden, aber nicht so düster, dass es Bedenken geben würde, Kinde mit reinzunehmen (außer halt der Tatsache, dass es ein Ballett ist und insgesamt fast 3 Stunden dauert). Die Bedrohung und Hoffnungslosigkeit ist da, aber es gibt keine gespielten Todeszenen, Tonda und Michal werden sogar im blackout in Mühlsäcke gestopft, damit niemand das sehen muss. Uneingeschränkt als Stück für die ganze Familie empfehlbar.

Hat sich sehr gelohnt.
blauerfalke: (erzählen)
von Heinz Liepman

Es gab mal eine Zeit, in der es Mode war, Biographien als Halb-Roman zu schreiben. Das muss irgendwann in den 50er/60er-Jahren des 20.Jahrhunderts gewesen sein, denn ich habe schon eine in diesem Stil, über Elisabeth II. Es wird die Lebensgeschichte erzählt, in einer Mischung aus faktischer Darstellung, aus Szenen mit Beschreibung und Dialog wie in einem Roman, und aus Kommentaren des/der Autors/Autorin, in denen er/sie darauf hinweist, wo er/sie nachgelesen hat oder wer dafür interviewt wurde und wann. Wenn man so drüber nachdenkt, so ist es die Buchversion einer modernen Geschichtsdoku. Die haben ja auch immer Spielszenen.

Ich persönlich mag in beidem keine Spielszenen. Ich mag die Mischung aus Fakten und Fiktion nicht, selbst wenn im Falle dieses Buches für die ein oder andere tatsächlich Transkskriptionen der Gespräche vorliegen können, denn mehrfach betont Herr Liepman, dass es zu einer Zusammenkunft oder Beratung einen Geheimdienstbericht oder gar eine Aufzeichnung des Gesprächs gibt. Trotdem hinterlässt es bei mir immer den Beigeschmack von künstlerischer Freiheit und verzerrten Bildern.
Ferner fand ich es nervig, dass bei jeder Erwähnung von Anna Wyrubowa, Vertrauter der Zarin, auch erwähnt wurde, dass sie dick und hässlich war. Als habe der Autor Angst, dass wir uns das nicht merken könnten, wenn er es nicht ständig sagt - nicht, dass es etwas gemacht hätte, wenn ich mir das nicht gemerkt hätte. Ich habe mir ja auch nicht gemerkt, wie der Bischof Hermogen aussah. Das tut auch genauso wenig zur Sache.

Zu Gute halten muss ich dem Buch, das es sehr flüssig geschrieben und unterhaltsam zu lesen ist, ohne dabei reißerisch zu werden, sich in wilden Theorien zu verlieren oder gar okkult-ominöse Bedrohlichkeit zu suggerieren. Herr Liepman betont mehrfach, dass er in der extrem glücklichen Lage ist, dass es Massen von Literatur über Rasputin gibt, auf die er zurückgreifen konnte, von Berichten und Protokollen über andere Biographien und sogar Romane, und dass er sogar noch in der Lage war, Zeitzeugen zu interviewen, unter anderem Rasputins Mörder, den Fürsten Jussupoff. Das war mir übrigens neu, dass nur eine Person mit Rasputin im Raum war, als er vergiftet wurde, die anderen zwar im Haus, aber in einem anderen Stockwerk.

Was also war Rasputin? Heiliger? Teufel? Ein armer Irrer? Auch das Buch kann es nicht klären, lässt aber alle Wunderheilungen und Vorhersagen Rasputins unkommentiert im Raum stehen, so dass im Ganzen das Bild eines Mannes entsteht, der selbst durch und durch davon überzeugt war, Gottes Stimme zu hören und von ihm berufen zu sein, und der darum die Kraft hatte, in anderen Menschen Dinge zu bewirken. Nicht das eines sympatischen Mannes, aber ganz sicher auch nicht das eines Dämons.

Und er war gegen den Krieg und hat versucht zu verhindern, dass Russland daran teilnimmt. Das hat mich am allermeisten überrascht - warum, kann ich nicht einmal sagen. Ich habe mir nie zuvor Gedanken darüber gemacht, wie Rasputin zu den Ereignissen stand, die zum Ersten Weltkrieg geführt haben. Auch wenn ich mir natürlich schon irgendwie darüber im Klaren war, dass er zu der Zeit gelebt hat.

Man muss es ein bisschen als Entertainment sehen, aber dann ist es ein gutes Buch, das sich offensichtlich um Objektivit für seinen Protagonisten bemüht (wenn auch weniger für die anderen Personen).

Profile

blauerfalke: (Default)
blauerfalke

June 2025

S M T W T F S
1234567
891011121314
15161718 192021
222324 25262728
2930     

Most Popular Tags

Style Credit

Expand Cut Tags

No cut tags
Page generated Jul. 4th, 2025 09:59 am
Powered by Dreamwidth Studios