Ballett mit einer Choreographie von Demis Volpi und Musik von Pêteris Vasks, Philip Glass, Krzysztof Penderecki, Christoph Kirschfink und einer Überarbeitung von "Die Gedanken sind frei" von Wolfgang Heinz, nach Motiven des gleichnamigen Buches von Ottfried Preussler
Es spielt das Ballett am Rhein Düsseldorf / Duisburg im Theater in Duisburg
Ende 2019 habe ich festgestellt, dass ich im 2-Stunden-Radius erstaunlich vieler Musiktheater lebe und entschieden, dass ich die doch einfach alle mal besuchen könnte. Dann kam die Pandemie und hatte ich genau eins davon geschafft. Zwischenzeitlich war ich auch noch in zwei weiteren (in denen ich aber vorher auch schonmal war), und dieses Mal war es ein neues. Theater Duisburg. Es handelt sich um eine Spielstätte der Oper am Rhein, eine Kooperation mit dem gleichnamigen Haus in Düsseldorf, und ist erstaunlicherweise doch ein Drei-Sparten-Haus, denn neben Opern- und Ballettensemble hat es auch noch ein Jugend-Schaulspielensemble. Außerdem ist es die Heimat der Duisburger Philharmoniker.
Das Theater selbst ist neo-klassizistisch und erinnert mit seiner weißen Farbe, dem Giebel und den Säulen davor stark an das Theater Aachen. Auch drinnen ist es ähnlich, auch wenn in Duisburg die Renovierung schon etwas länger zurückzuliegen scheint. Es hat zwei Ränge, ebenso wie Aachen, ist aber deutlich größer. Direkt gegenüber gibt es ein Parkhaus, das sogar einen Verbindungstunnel direkt ins Theater hat (und natürlich auch einen Theatertarif). Wir hatten aber großes Glück und haben einen Parkplatz direkt neben dem Theater bekommen, der sogar kostenlos war.
Das Ballett selbst wurde 2013/2014 in Stuttgart uraufgeführt, ist aber eine übearbeitete Neuauflage mit einigen Anpassungen, wie das Programmheft verrät (4 Euro, viele Farbfotos, diverse Informationen zum Stück plus Handlung und Besetzungs-Einleger, keine Biographien von Mitwirkenden). Diese sind vor allem der Tatsache geschuldet, dass das Stuttgarter Ensemble in seiner Ausrichtung klassischer und traditioneller ist als das Duisburger. Ich schätze also, dass die Choreopgraphie modernisiert wurde. Die Musik wurde bewusst aus Werken von bekannten Komponisten des 20.Jahrhunderts zusammengestellt. Sie enthält nur ein einziges für das Ballett geschaffenes Musikstück, das im Programmheft "Mühlenmusik" genannt wird. Es ist von Christoph Kirschfink und kommt vom Band, denn es wurde am 22.Mai 2012 in der Mäulesmühle im Siebenmühlental aufgenommen, es handet sich also um die arrangieren Geräusche der Mahlwerke einer Wassermühle. Sie erklingen jeweils zu Beginn von Akt 1 und Akt 2, wenn Krabat bzw. Witko in der Mühle ankommen und das Handwerk lernen, und schaffen eine sehr passende Atmosphäre. Es ist laut, es ist gewaltig, es ist mächtig, es ist rhythmisch, es wirkt unabdingbar und zwingend. Genau passend. Eine wirklich sehr gute Idee.
Der Rest der Musik ist modern, wird aber nie atonal, was ich persönlich sehr erleichternd fand. Mir ist nichts davon im Ohr geblieben - außer "Die Gedanken sind frei" natürich - aber im Behalten von instrumentaler Musik bin ich ohnehin eher schlecht, das muss also nichts heißen.
Modern, aber nicht zu modern gilt auch für das Ballett im Ganzen. Es ist kein klassisches, schwebendes Ballett, auch wenn es durchaus Elemente und Anklänge gibt, aber es ist auch nicht so modern und schräg, dass man sich fragt, was das Ganze eigentlich soll. Ein sehr guter Mittelweg also, der auch für jemanden wie mich, die sich mit modernem Ballett eher schwertut, noch sehr gut anzusehen ist. Demis Volpis Choreographie ist dynamisch, voller Energie und transportiert die Handlung klar und deutlich verständlich.
Bühne und Kostüme sind von Katharina Schlipf, und gerade, was die Bühne angeht, hat sie fantastische Arbeit geleistet. Die Kulisse besteht aus riesigen Wänden aus Mehlsäcken, die sich zum Teil von selbst bewegen können, und weiteren Mehlsäcken, die die Müllerburschen herumschleppen. Dazu kommt ein schwebendes Zauberbuch und ein Tuch mit einer aufgemalten Landschaft für die Szenen mit den Dorfmädchen. Dieses Tuch sieht nicht nur gut aus, sondern wird auch in der Szene, als Wroschula ihren Verstand verliert und in den Selbstmord getrieben wird, durch Schläge und Gezerre von hinten verfremdet, was stark zur Intensität der Szene beiträgt. Am Ende des Stücks bricht die Rückwand aus Mühlsäcken zusammen und die Müllersburschen können in das Licht dahinter entkommen, was dem Geist des Buches erstaunlich gut entspricht: Hoffnung und Freiheit, die für den Moment vergessen lassen, dass sie sonst nichts mehr haben.
Die Kostüme der Müllersburschen sind grau und generisch, Krabat inklusive, so dass ich stellenweise große Mühe hatte, ihn aus der Masse herauszufinden, und einmal für ein ganzes Solo geglaubt habe, es handele sich bei dem Tänzer um Krabat, und meinen Irrtum erst bemekrte, als der am Ende eben dieses Solos auf die Bühne rannte.
Dafür sind die Rabenkostüme einfach großartig. Fantastisch.
Der Meister trägt einen langen Mantel, der später dazu genutzt wird, um sein Angebot an Krabat, die Mühle zu übernehmen, und die Versuchung, die es darstellt, deutlich zu machen, der aber auch sonst dazu beiträgt, seine Kälte und Härte zu unterstreichen. Der Herr Gevatter ist eine Frau, trägt ein enges rotes Kleid, steht auf Absätzen/Stelzen/irgendwas und wirkt durch die verfremdeten Proportionen unwirklich und bedrohlich, und dreht dem Publikum fast ausschließlich den Rücken zu, während sie über die Schultern beschwörende Handbewegungen macht. Interessanter Kunstgriff.
Ein ebenso interessanter Kunstgriff waren die Masken, die die Mädchen tragen, die nur dünn und aus Stoff sind, die aber ihre Gesichtszüge sehr starr und unecht wirken lassen. Es ist auch einer, der die Handlung unterstützt, denn das Abnehmen der Maske ist mit Gefahr verbunden - den Namen zu kennen, verleiht dem Meister Macht über das Mädchen. Worschula nimmt ihre zum Beginn des Pas-de-Deux mit Tonda ab, was ihr Verhängnis wird, die Kantorka ihre erst, als sie kommt, um Krabat freizubitten.
Die Handlung folgt grob dem Buch und erstreckt sich über drei Jahre, die jeweils einen eigenen Akt haben. Akt 1 - Krabat kommt die Mühle, er und Tonda treffen die Mädchen, Worschula stirbt, der Gevatter fordert seinen Tribut ein. In Akt 2 wiederholt sich das Ganze, nur mit jetzt einem Pas de Deux für Krabat und die Kantorka, und Juro, der Krabat unterstützt, und in der Mitte mit dem Auftritt von Pumphut, der mit dem Meister ein Duell tanzt, gewinnt und dann wieder geht. Ich hatte an den Charakter keinerlei Erinnerung, habe zwischenzeitlich nachgelesen und gelernt, dass er tatsächlich vorkommt, aber nur im Rahmen einer Geschichte. Ein freier Müllergeselle, ein mächtiger Magier, der durch die Lande zieht und dafür sorgt, dass die Meister ihre Gesellen einigermaßen anständig behandeln.
Am Beginn von Akt 3 fehlt die Mühlenmusik, und dann geht es auch recht schnell in die Szene über, in der die Kantorka Krabats Freiheit erbittet, der Meister versucht, es zu verhindern, und sie ihn dann unter den Raben herausfindet. Übrigens dadurch, dass sie spürt, dass er Angst um sie hat. Persönlicher Pluspunkt dafür.
Szenen mit Magie fehlen also so gut wie völlig, niemand verwandelt sich in irgendein Tier, um verkauft zu werden oder dergleichen. Auf die Essenz reduziert, aber dafür auch ohne jede Vorkenntnisse gut verständlich.
Es ist düster genug, um der Vorlage gerecht zu werden, aber nicht so düster, dass es Bedenken geben würde, Kinde mit reinzunehmen (außer halt der Tatsache, dass es ein Ballett ist und insgesamt fast 3 Stunden dauert). Die Bedrohung und Hoffnungslosigkeit ist da, aber es gibt keine gespielten Todeszenen, Tonda und Michal werden sogar im blackout in Mühlsäcke gestopft, damit niemand das sehen muss. Uneingeschränkt als Stück für die ganze Familie empfehlbar.
Hat sich sehr gelohnt.
Es spielt das Ballett am Rhein Düsseldorf / Duisburg im Theater in Duisburg
Ende 2019 habe ich festgestellt, dass ich im 2-Stunden-Radius erstaunlich vieler Musiktheater lebe und entschieden, dass ich die doch einfach alle mal besuchen könnte. Dann kam die Pandemie und hatte ich genau eins davon geschafft. Zwischenzeitlich war ich auch noch in zwei weiteren (in denen ich aber vorher auch schonmal war), und dieses Mal war es ein neues. Theater Duisburg. Es handelt sich um eine Spielstätte der Oper am Rhein, eine Kooperation mit dem gleichnamigen Haus in Düsseldorf, und ist erstaunlicherweise doch ein Drei-Sparten-Haus, denn neben Opern- und Ballettensemble hat es auch noch ein Jugend-Schaulspielensemble. Außerdem ist es die Heimat der Duisburger Philharmoniker.
Das Theater selbst ist neo-klassizistisch und erinnert mit seiner weißen Farbe, dem Giebel und den Säulen davor stark an das Theater Aachen. Auch drinnen ist es ähnlich, auch wenn in Duisburg die Renovierung schon etwas länger zurückzuliegen scheint. Es hat zwei Ränge, ebenso wie Aachen, ist aber deutlich größer. Direkt gegenüber gibt es ein Parkhaus, das sogar einen Verbindungstunnel direkt ins Theater hat (und natürlich auch einen Theatertarif). Wir hatten aber großes Glück und haben einen Parkplatz direkt neben dem Theater bekommen, der sogar kostenlos war.
Das Ballett selbst wurde 2013/2014 in Stuttgart uraufgeführt, ist aber eine übearbeitete Neuauflage mit einigen Anpassungen, wie das Programmheft verrät (4 Euro, viele Farbfotos, diverse Informationen zum Stück plus Handlung und Besetzungs-Einleger, keine Biographien von Mitwirkenden). Diese sind vor allem der Tatsache geschuldet, dass das Stuttgarter Ensemble in seiner Ausrichtung klassischer und traditioneller ist als das Duisburger. Ich schätze also, dass die Choreopgraphie modernisiert wurde. Die Musik wurde bewusst aus Werken von bekannten Komponisten des 20.Jahrhunderts zusammengestellt. Sie enthält nur ein einziges für das Ballett geschaffenes Musikstück, das im Programmheft "Mühlenmusik" genannt wird. Es ist von Christoph Kirschfink und kommt vom Band, denn es wurde am 22.Mai 2012 in der Mäulesmühle im Siebenmühlental aufgenommen, es handet sich also um die arrangieren Geräusche der Mahlwerke einer Wassermühle. Sie erklingen jeweils zu Beginn von Akt 1 und Akt 2, wenn Krabat bzw. Witko in der Mühle ankommen und das Handwerk lernen, und schaffen eine sehr passende Atmosphäre. Es ist laut, es ist gewaltig, es ist mächtig, es ist rhythmisch, es wirkt unabdingbar und zwingend. Genau passend. Eine wirklich sehr gute Idee.
Der Rest der Musik ist modern, wird aber nie atonal, was ich persönlich sehr erleichternd fand. Mir ist nichts davon im Ohr geblieben - außer "Die Gedanken sind frei" natürich - aber im Behalten von instrumentaler Musik bin ich ohnehin eher schlecht, das muss also nichts heißen.
Modern, aber nicht zu modern gilt auch für das Ballett im Ganzen. Es ist kein klassisches, schwebendes Ballett, auch wenn es durchaus Elemente und Anklänge gibt, aber es ist auch nicht so modern und schräg, dass man sich fragt, was das Ganze eigentlich soll. Ein sehr guter Mittelweg also, der auch für jemanden wie mich, die sich mit modernem Ballett eher schwertut, noch sehr gut anzusehen ist. Demis Volpis Choreographie ist dynamisch, voller Energie und transportiert die Handlung klar und deutlich verständlich.
Bühne und Kostüme sind von Katharina Schlipf, und gerade, was die Bühne angeht, hat sie fantastische Arbeit geleistet. Die Kulisse besteht aus riesigen Wänden aus Mehlsäcken, die sich zum Teil von selbst bewegen können, und weiteren Mehlsäcken, die die Müllerburschen herumschleppen. Dazu kommt ein schwebendes Zauberbuch und ein Tuch mit einer aufgemalten Landschaft für die Szenen mit den Dorfmädchen. Dieses Tuch sieht nicht nur gut aus, sondern wird auch in der Szene, als Wroschula ihren Verstand verliert und in den Selbstmord getrieben wird, durch Schläge und Gezerre von hinten verfremdet, was stark zur Intensität der Szene beiträgt. Am Ende des Stücks bricht die Rückwand aus Mühlsäcken zusammen und die Müllersburschen können in das Licht dahinter entkommen, was dem Geist des Buches erstaunlich gut entspricht: Hoffnung und Freiheit, die für den Moment vergessen lassen, dass sie sonst nichts mehr haben.
Die Kostüme der Müllersburschen sind grau und generisch, Krabat inklusive, so dass ich stellenweise große Mühe hatte, ihn aus der Masse herauszufinden, und einmal für ein ganzes Solo geglaubt habe, es handele sich bei dem Tänzer um Krabat, und meinen Irrtum erst bemekrte, als der am Ende eben dieses Solos auf die Bühne rannte.
Dafür sind die Rabenkostüme einfach großartig. Fantastisch.
Der Meister trägt einen langen Mantel, der später dazu genutzt wird, um sein Angebot an Krabat, die Mühle zu übernehmen, und die Versuchung, die es darstellt, deutlich zu machen, der aber auch sonst dazu beiträgt, seine Kälte und Härte zu unterstreichen. Der Herr Gevatter ist eine Frau, trägt ein enges rotes Kleid, steht auf Absätzen/Stelzen/irgendwas und wirkt durch die verfremdeten Proportionen unwirklich und bedrohlich, und dreht dem Publikum fast ausschließlich den Rücken zu, während sie über die Schultern beschwörende Handbewegungen macht. Interessanter Kunstgriff.
Ein ebenso interessanter Kunstgriff waren die Masken, die die Mädchen tragen, die nur dünn und aus Stoff sind, die aber ihre Gesichtszüge sehr starr und unecht wirken lassen. Es ist auch einer, der die Handlung unterstützt, denn das Abnehmen der Maske ist mit Gefahr verbunden - den Namen zu kennen, verleiht dem Meister Macht über das Mädchen. Worschula nimmt ihre zum Beginn des Pas-de-Deux mit Tonda ab, was ihr Verhängnis wird, die Kantorka ihre erst, als sie kommt, um Krabat freizubitten.
Die Handlung folgt grob dem Buch und erstreckt sich über drei Jahre, die jeweils einen eigenen Akt haben. Akt 1 - Krabat kommt die Mühle, er und Tonda treffen die Mädchen, Worschula stirbt, der Gevatter fordert seinen Tribut ein. In Akt 2 wiederholt sich das Ganze, nur mit jetzt einem Pas de Deux für Krabat und die Kantorka, und Juro, der Krabat unterstützt, und in der Mitte mit dem Auftritt von Pumphut, der mit dem Meister ein Duell tanzt, gewinnt und dann wieder geht. Ich hatte an den Charakter keinerlei Erinnerung, habe zwischenzeitlich nachgelesen und gelernt, dass er tatsächlich vorkommt, aber nur im Rahmen einer Geschichte. Ein freier Müllergeselle, ein mächtiger Magier, der durch die Lande zieht und dafür sorgt, dass die Meister ihre Gesellen einigermaßen anständig behandeln.
Am Beginn von Akt 3 fehlt die Mühlenmusik, und dann geht es auch recht schnell in die Szene über, in der die Kantorka Krabats Freiheit erbittet, der Meister versucht, es zu verhindern, und sie ihn dann unter den Raben herausfindet. Übrigens dadurch, dass sie spürt, dass er Angst um sie hat. Persönlicher Pluspunkt dafür.
Szenen mit Magie fehlen also so gut wie völlig, niemand verwandelt sich in irgendein Tier, um verkauft zu werden oder dergleichen. Auf die Essenz reduziert, aber dafür auch ohne jede Vorkenntnisse gut verständlich.
Es ist düster genug, um der Vorlage gerecht zu werden, aber nicht so düster, dass es Bedenken geben würde, Kinde mit reinzunehmen (außer halt der Tatsache, dass es ein Ballett ist und insgesamt fast 3 Stunden dauert). Die Bedrohung und Hoffnungslosigkeit ist da, aber es gibt keine gespielten Todeszenen, Tonda und Michal werden sogar im blackout in Mühlsäcke gestopft, damit niemand das sehen muss. Uneingeschränkt als Stück für die ganze Familie empfehlbar.
Hat sich sehr gelohnt.