Sep. 2nd, 2024

blauerfalke: (geschichten)
von Jan Zweyer

Das Cover sieht aus, als sei es ein Liebesroman aus den 1920ern in Berlin. Es spielt tatsächlich 1923, aber es spielt zum größten Teil im Ruhrgebiet, in der Gegend rund um Herne, und es ist ein Krimi. Zumindest tut es so, als wäre es einer, denn zu Beginn passiert ein Mord, und der wird dann aufgeklärt. Von einem Polizeibeamten, der extra dafür aus Berlin anreist, was wiederum gar nicht so einfach ist, denn das Ruhrgebiet ist Sperrzone. Besetzt von den Franzosen.

Und darum geht es eigentlich. Um eine Beschreibung der Zeit, als das Ruhrgebeit besetzt war, weil Deutschland die Reparationen nicht so leistete, wie sich die Alliierten das vorgestellt hatten. Um eine Zeit, als das Ruhrgebiet noch Ruhrgebiet war, man auffe Zeche und in'n Pütt fuhr, einen Schrebergarten hatte und eine engmaschige Gemeinschaft, in der jeder jeden kennt. In der Menschen aller politischen Richtungen nur in der einen Sache vereeint sind, nämlich der Überzeugung, dass alle Franzosen Schweine sind, und dass man "für Deutschland" etwas machen muss. Der Zweck heiligt die Mittel, und so kommt es dann auch. Aktiver Widerstand, es gibt Tote, mal als Kollateralschaden, mal als Vergeltung und mal "aus Sicherheitsgründen". Auge um Auge. Und am Ende geht es nie um die Wahrheit, sondern immer um das, was den Mächtigen nutzt, und um Propaganda. Und natürlich um Geld.

Es ist sehr bitter und sehr deprimierend zu lesen, und auch wenn der Mord aufgeklärt wird, und die Hauptperson das aus hehren Motiven tut und ein sympatischer Mensch ist - der natürlich ein Kriegstrauma aus den Schützengräben mitgebracht hat - am Ende ist auch er nur ein Mensch und nicht besser als die anderen. Die Wahrheit ist halt ein sehr abstrakter Wert, und sie hilft einem nicht dabei, Essen auf den Tisch zu bekommen. Oder auch nur einen Tisch.

Am bittersten aber ist es, dass es vor 101 Jahren spielt, und exakt die gleichen Parolen verbreitet werden, die man auch heute ständig hört. Für Deutschland, für unser Volk, alle Scheißjuden/Franzosen/Ausländer/sonstwieAndere raus, und "eine deutsche Frau tut sowas nicht". Schon gar nicht mit einem Ausländer. Und sowieso ist eine Frau dazu da, die Wünsche eines Mannes zu erfüllen, der glaubt, dass er sie besitzt. Was in diesem Fall weder der Ehemann noch ein Verwandter ist.
Alles zu gut gekannt. Leider.

Stilistisch ist es gewöhnungsbedürftig, mit sehr detaillsierten Beschreibungen von Dingen, die Leute tun. Aber nach etwa 50 Seiten hat man sich dran gewöhnt, dann geht es.

Also auf seine Art ein sehr lesenswertes Buch. Der Autor kennt seine Materie, und es gibt einen Anhang, in dem er auf wahre Begebenheiten und eventuelle Unstimmigkeiten hinweist, die er im Namen der Erzählung vornehmen musste. Geschichtsvermittlung, ohne anstrengend zu sein.Dafür ist es sehr gut geeignet.
blauerfalke: (geschichten)
von Rebecca Thorne

Eins der neuen Genres, die, ich glaube, von BookTok definiert wurden, ist "cozy mystery". Das bahnbrechnende Leitwerk des Genres heißt "Legends and Lattes", und wird von Ms Thorne in den Danksagungen als Inspiration angegeben. Da ich es nicht gelesen habe, weiß ich nicht, was genau ein cozy mystery so haben muss, um als solches zu gelten, aber ich nehme mal an, dass die Protagonisten ein glückliches heimisches Zusammenleben haben sollten, und dass es ein Rätsel/ein Verbrechen zu klären gilt. (Ob der Verkauf von Heißgetränken auch zwingend ist... wer weiß.)

Beides erfüllt das Buch problemlos. Rayna und Kianthe, die eine Leibwächterin einer grausamen Königin und die andere die mächtigste Magierin ihrer Zeit, entschließen sich, miteinander durchzubrennen, und einen Buchladen aufzumachen, der auch Tee serviert. Denn die Leidenschaft der einen sind Bücher, die der anderen Tee. Dazu suchen sie sich einen Mini-Ort irgendwo im Grenzgebiet diverser Reiche, von dem nichtmal die Einwohner einig sind, zu welchem sie eigentlich gehören, und der regelmäßig von Drachen angegriffen wird. Wie sich herausstellt, haben die einen Grund dazu, und Kianthe muss sich verpflichten, herauszufinden, was mit den gestohlenen Dracheneiern passiert ist, während es nur eine Frage der Zeit ist, bis Reynas Ex-Arbeitgeberin ihre Armee vorbei schickt, um sie wegen Hochverrats festzunehmen.

Da hätten wir also das Rätsel, und die beiden Protagonistinnen leben glücklich zusammen und schhaffen sich ein gemütliches Heim. Wie glaubwürdig das Ganze ist - dass eine Leibwächterin auch noch meisterhaft backen kann zum Beispiel - sei mal dahingestellt, aber darum es geht wahrscheinlich nicht. Es geht auch nicht darum, innovative Fantasy zu schreiben. Es geht um Charaktere, denn die nehmen deutlich den größten Raum ein, ihre Beschreibungen, ihre Motivationen, ihre Beziehungen untereinander, und wie diese sich entwickeln. Es kommt mir also sehr entgegen und im Grunde habe ich es gerne gelesen. Nur musste ich dann am Ende leider feststellen, dass es ein Band 1 ist, wir also die Eier noch immer nicht haben, und in den letzten Jahren habe ich mit Reihen doch ziemlich die Geduld verloren. Wie wäre es mit einem Rästel pro Buch, wie in den klassischen Krimis? Dann kann man seine Charaktere noch immer durchgehend weiterentwickeln.

Es ist also schon charmant, es ist gut geschrieben, es hat Humor und es hat schöne Charakterdynamiken. Es ist ein schöner Gegenentwurf zum modernen Krimi, wo jeder Ermittler mindestens ein Trauma und eine gescheiterte Ehe haben muss. Dass keine der Protagonistinnen in mein Schema fällt, dafür kann die Autorin nichts. Wäre das der Fall, würde ich weiterlesen, aber so... eher nicht.

Trotzdem Empfehlung für Leute, die in ihrer Fantasy mal ein bisschen heile Welt haben wollen, und für die auch nicht immer gleich die Welt gerettet werden muss.

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