Jun. 19th, 2025

blauerfalke: (erzählen)
von Mark Rees

Mark Rees ist der Journalist und cultural adventurer aus Wales (mit dem nach wie vor einzigen Podcast, den ich gerne höre), von dem ich noch immer weder alle Bücher besitze noch gelesen habe. Ich habe auch gar nicht das Ziel, eins von beiden zu tun, weil sich ein Großteil seiner Arbeit mit Geistern und anderen paranormalen Begebenheiten beschäftigt, und ich da einfach viel zu zart besaitet für bin.

Der andere Teil seiner Arbeit beschäftigt sich mit walisischer Kultur und Folklore, und dazu gehört auch dieses Buch. Mr. Rees liebt Mythen, Legenden und Volksgeschichten, und davon hat Wales reichlich. Noch besser, viele davon sind genau lokalisiert, und das wiederum bedeutet, dass man hingehen kann, sich den Ort ansehen und sagen "Hier genau war's.". Mr. Rees hält das für ein sehr cololes Konzept, und damit das möglichst viele Menschen auch umsetzen können, hat er dieses Buch geschrieben.

Es enthält eine Auswahl Geschichten zusammen mit den Ortsangaben und, falls jemand es nicht nach Wales schafft, jeder Menge schönen Fotos dazu. Sie sind thematisch sortiert, nach "Legends of Wales", "Fantastic Beasts", "The Land of King Arthur", "Mysteries of the Deep" und "Tales of the Tylwyth Teg" (Tylwyth Teg ist das walisische Wort für Feenwesen), es ist also für jeden etwas dabei. Die Texte sind lebendig, auf den Punkt und unterhaltsam, und die Fotos sind natürlich alle sehr schön. Wales ist halt schön.
Und vielleicht kann man es mit Llyn Barfog oder dem Taliesien Monument doch nochmal versuchen, da hin zu kommen...

Sehr schönes Buch.
blauerfalke: (geschichten)
von Mariana Leky

Hin und wieder sehe ich mal in einer Zeitschrift oder online eine Buchrezension und denke "Das klingt ja ganz nett, könnte man vielleicht mal lesen". In diesem Fall war es die Literaturbeilage des Spiegels, und es war die Rezensions eines anderen Buches derselben Autorin, in der dieses nur erwähnt wurde. Es fielen Verweise wie "poetisch", "schwebend" und "realistisch" (glaube ich... ist schon eine Weile her). Aber es war widersprüchlich genug, dass ich dachte, das könnte interessant sein (auch wenn das, was so "moderne Unterhaltung" genannt wird, nicht so ganz meins ist). Und da sowohl Autorin als auch Buch erstens recht aktuell und zweitens nicht ganz unbekannt zu sein schienen (sonst würde der Spiegel sich nicht damit beschäftigen), war klar, dass es auch leicht sein würde, da ranzukommen. Immerhin habe ich Besucherausweise für gleich zwei Büchereien.

Es war also keinerlei Problem, und ja, irgendwo stimmen die Verweise auch. Man könnte es poetisch nennen oder auch schwebend, und auch realistisch - es ist eine Sammlung von kurzen Texten. Ich möchte es nicht Kurzgeschichten nennen, denn die Texte folgen nicht den Regeln der klassischen Kurzgeschichte. Es sind einfach kurze Texte, mal mit minimaler Handlung, mal reine Reflektionen oder Gedankenflüsse. Alle sind in der Ich-Perspektive geschrieben, ich kann mich nicht daran erinnern, ob der Name der Person fällt oder gar, ob er mit dem der Autorin identisch ist. Sie ist jedenfalls weiblich.

Alle Texte spielen in oder um ein Mietshaus, in dem besagte Person wohnt, und drehen sich um Begegnungen, Interaktionen oder Gedanken um und mit ihren Nachbarn. Alltägliches Geschehen, Höhen und Tiefen, mal oberflächlich, mal emotional... Es plätschert vor sich hin, aber das meine ich jetzt nicht negativ. Es ist nett zu lesen, und irgendwie finde ich es sogar ein wenig beruhigend, dass solch alltägliche Momentaufnahmen offenbar ein so großes Publikum finden. Das bedeutet, dass viele Menschen doch irgendwie ähnliche Erfahrungen machen und dass sie darum einen wie auch immer gearteten Bezug zu diesen Texten haben.

Für mich ist es ein Buch, was man zwischendurch gut lesen kann. Eben nett, und es hat auch genug wiederkehrende Personen, dass man Interesse an ihnen und den Geschehnissen entwickeln an. Nichts davon ist wirklich aufwühlend oder gar überdramatisch, und auch Spannungsbogen wäre zuviel gesagt.
Kleine Alltäglichkeiten aus der Nachbarschaft eben. Menschlich.
blauerfalke: (erzählen)
von Peter & Johannes Fiebag

Aus der Reihe "Rätselhafte Phänomene" des tosa-Verlages

Beide Autoren sind Vertreter der PaläoSETI-Hypothese, die besagt, dass Außerirdische Intelligenzen die Erde besucht und beinflusst haben. Zu dem Thema haben sie diverse Bücher geschrieben, auch mindestens ein weiteres über den Gral. Diese Grundeinstellung ließ mich vermuten, dass dieses Buch eher nichts mit der Sangreal-Theorie von Henry Lincoln, Michael Baigent und Richard Leigh zu tun hat, auf der "Der da Vinci-Code" basiert. Und so war es dann auch.

Stilistisch ist es ein angenehm unaufgeregtes Buch. Es präsentiert seine Fakten, vermerkt, was andere Autoren (unter anderem eben Lincoln, Baigent und Leigh) falsch verstanden, unterschlagen oder außer Acht gelassen haben, und verliert sich nie in ausuferndem Selbstlob, weil den Herren Fiebag eben die richtige Entschlüsselung des Rätsels gelungen ist. Im Gegenteil, es gibt sich große Mühe, auch die Lücken in den Beweis- und Gedankenketten zu zeigen, und wo Hinweise als gegeben angenommen werden mussten, um weiterzukommen.

Es beginnt mit einer kurzen Darstellung dessen, wer Artus und seine Tafelrunde waren und was für eine Rolle der Gral darin spielt. Wie immer frage ich mich bei einigen Aussagen, wo sie herkommen, aber man muss auch immer zugute halte, dass das arthurische Textwerk so gigantisch ist, dass man nie alles kennen kann. Danach folgt ein Exkurs in die Alchemie und eine genauere Untersuchung der Gralshistorien von de Troyes, von Eschenbach Boron. Die Grundlagen sehr genau darstellen, denn danach folgt die eigentliche Theorie.

Und die besagt, dass der Gral eine außerirdische Maschine ist, und zwar die, die die Iraeliten auf ihrer Wanderung in der Wüste mit Manna gespeist hat. Es handelt sich um eine nukleargetriebene Konstruktion, die mit Hilfe von Algen und Luftfeuchtigkeit etwas herstellt, was als Nahrung verwendet werden kann - wie auch der Gral ja Nahrung gibt. Mit anderen Worten, der Gral ist die Manna-Maschine, ist die Bundeslade. Und kam dann in den Besitz der Templer, die sie erst nach Schottland gerettet haben, als der Orden vernichtet wurde, und dann weiter ins endgültige Versteck - nach Oak Island. (Wer Oak Island nicht kennt, googled es, das füllt ganze Bücher und hat eine ongoing reality soap.)

Natürlich ist die Argumentation in sich stimmig. Natürlich lassen sich damit alle Eigenschaften des Grals in allen Geschichten erklären. Natürlich finden sich Gründe dafür, wo die Geschichten mit Absicht oder einfach aus Unverständnis verfälscht wurden. Natürlich gibt es trotzdem Momente, in denen ich mich gefragt habe, ob sie das wirklich ernst meinen.
Aber trotzdem ist es ein gut gemachtes Buch, auf seine Art informtiv und sogar spaßig. Ich denke, ich werde es behalten, schon alleine, um die Argumente griffbereit zu haben, sollte ich sie für irgendetwas mal brauchen. Nicht zu vergessen hat es drei Seiten Quelltextverzeichnis, das ist auch immer gut.

PS: Eine Sache hat mir gefehlt - nehmen wir an, sie haben Recht. Nehmen wir an, unter Oak Island liegt diese nuklearbetriebene Maschine, die quasi aus nichts unbegrenzt Nahrung machen kann, und es waren wirklich die Templer, die diese unglaublichen Sicherheitsvorkehrungen gebaut haben, um zu verhindern, dass jemand das Ding jemals wieder da rausholen kann: Nicht einmal in dem ganzen Buch taucht die Frage auf, ob das nicht vielleicht daran liegen kann, dass es gefährlich sein könnte. Auf welche Weise auch immer, aber gefährlich. Dass es also einen sehr guten Grund gab, um alles zu versuchen, es da für immer zu verstecken.
Zumindest kurz als Nebensatz hätte ichs erwartet.
blauerfalke: (erzählen)
von Alexej Nawalny
(übersetzt von Rita Graevert, Norbert Juaschitz und Karin Schuler, und zwar aus dem Englischen - das hat mich überrascht, denn ich hatte erwartet, dass Herr Nawalny seine Memoiren in seiner Muttersprache geschrieben hat)

Es ist eine Autobiographie und sie beginnt damit, dass Herr Nawalny beschreibt, wie es sich anfühlt, in einem fliegenden Flugzeug an einem Nervengift zu sterben. Spoiler: Er ist nicht gestorben.

Ich gebe zu, ich wusste sehr wenig über Herrn Nawalny. Ich wusste, dass er vergiftet worden ist und dass Deutschland ihn nach Berlin geholt hat, um ihm das Leben zu retten. Und dass er dann wieder nach Russland zurückgegangen ist und in irgendeinem Gefängnis gestorben - wahrscheichlich auch Mord, aber wer weiß das schon, nicht wahr?
Kurz, das Einzige, was mir klar war, war, dass er dem Russischen Regime so sehr ein Dorn im Auge war, dass sie ihn unbedingt loswerden wollten. Mit anderen Worten, er war gefährlich und hatte einen gewissen Einfluss. Warum genau...

Die Antwort ist: Wegen seiner Kampagne gegen Korruption. Wegen seiner Überzeugung, dass eine sehr kleine Gruppe von Menschen ein ganzes Volk betrogen hat, um selbst so unvorstellbar reich zu werden, dass niemand mehr fassen kann, wie viel Geld das eigentlich ist. Wie er immer wieder sagt, Russland ist reich, es hat Ressourcen, es hat Bodenschätze, es ist vollkommen unverständlich, dass der Großteil seiner Bevölkerung in solcher Armut lebt. Nicht nur in den unermesslichen Weiten des riesigen Landes, sondern auch in seinen Städten. Da muss irgendetwas schief laufen, und zwar gewaltig.

Wenn ich ganz ehrlich bin, ich habe sogar gedacht, dass Herr Nawalny selbst einer dieser Oligarchen ist, aber dem scheint nicht so zu sein. Er stammt aus einer Militärfamilie, hat seine Kindheit in Miltärstädten verbracht und dann Jura studiert. Nichts in dem Buch weist darauf hin, dass er eine riesige Firma besessen hätte, irgendwie in Bodenschätze, Waffen, Medikamente oder sonstigen Dingen gemacht hat, mit denen das große Geld zu holen ist. Nichtmal irgendwas mit IT, auch wenn er sich die digitalen Medien in seinen Kampagnen immer zu Nutze gemacht hat.

Die erste Hälfte des Buches ist die klassische Biographie, die zweite Hälfte ist sein Gefängnistagebuch nach seiner Rückkehr nach Russland. Man lernt sehr viel darüber, wie in Russland der Alltag aussieht, erst außerhalb, dann innerhalb des Gefängnisses, und man lernt sehr viel über Herrn Nawalnys Ansichten darüber. Da die vor allem aus dem festen Glauben an Gerechtigkeit für alle, große Empörung über Korruption, Konzentration auf menschliche Werte wie Tolzeranz und Gemeinschaft und der Überzeugung, dass, wenn man für all das kämpft, es auch wahr wird, bestehen, macht es mir ihn sehr sympatisch. Basierend darauf ist es auch ein Buch, dass Hoffnung gibt, dass einen beschwört, selbst etwas zu tun - es weckt Bewunderung für Herrn Nawalny, seine Stärke und seinen Glauben an das Gute, aber nie so sehr, dass er übermenschlich wirkt. Es ist eher das "Ich kann es, also kannst du es auch.", was das Buch auf einer weiteren Ebene wertvoll macht.

Es zeigt ein ganz anderes Bild von Russland als das in "Hassliebe" von Anna Rose - ein ganz anderes Bild von den Menschen in Russland. Auch das finde ich tröstlich. Natürlich ist zu erwarten, dass es immer alle Arten von Meinungen und Menschen gibt, das ist nirgendwo auf der Welt anders, auch in Deutschland nicht. Wir müssen es nur irgendwie schaffen, dass die Leute, die die Zusammenarbeit wollen, die Sieger bleiben.

Ich würde schon jedem raten, es wegen dieser Botschaft zu lesen, egal, was man vom Rest halten mag oder ob man sich überhaupt für Biographien interessiert. Wir brauchen Bücher, die Mut machen.
blauerfalke: (erzählen)
A History of Books and their Readers

Von Emma Smith

Es ist kein Buch über bestimmte Bücher - auch wenn immer wieder einzelne Titel auftauchen, als Beispiele für etwas (am häufigsten "Fahrenheit 451", denn das eignet sich als Beispiel für vieles) - sondern vielmehr ein Buch über die Macht von Büchern. Denn Bücher haben Macht, darum werden sie auch immer wieder verbrannt (siehe "Fahrenheit 451"), auch wenn das Verbrennen von Büchern im Zeitalter des industriellen Drucks nie mehr sein kann als ein symbolischer Akt. Bücher haben Macht. Bücher haben eine Magie, die ihnen eigen ist, die etwas ist, was sie von allen anderen Dingen unterscheidet. Und darum gibt es auch immer jemanden, der Angst vor dieser Magie hat.

Und diese Magie ist vielfältig. Bücher können einen in andere Welten entführen. Sie können einen vergessen lassen, wo und wer man ist, und was um einen herum passiert. Sie sind Fluchten, Eskapismen und sie sind Tröster. Sie bieten Antworten, sie berühren und sie können Stimmungen beeinflussen. Sie sind die Heimat der größten Geschichten der Menschheit und darum Teil ihres kulturellen Gedächtnisses. Über Bücher sprechen Stimmen von Menschen, die vor Hunderten von Jahren gelebt haben, zeigen andere Gedanken und eröffnen neue Ideen und Verständnis. Bücher sind Prestigeobjekte, so sehr, dass es professionelle Berater gibt, die einem sagen, was man in den Schrank räumen soll, damit es beim Zoom-Call einen guten Eindruck macht. Jemand, der "Ulysses" liest, wird anders angesehen als jemand, der einen Groschenwestern liest. Bücher zeichnen ein Bild der Moralvorstellungen einer Zeit, wenn sich Menschen über ihre Inhalt oder ihren Anteil von Schimpfwörtern empören, und über Weltansichten, von "The Origin of Species" über "Erinnerungen an die Zukunft" bis "Mein Kampf". Bücher können ganze Gesellschaften zum Umdenken bewegen, sei es religiös oder naturwissenschaftlich, Bücher können zu Aufständen führen oder Soldaten zum Durchhalten bewegen. Oder sogar Kugeln aufhalten und Leben retten. Bücher sind ersetzbar, denn man kann sie immer wieder nachdrucken, und sie sind unersetzlich, wenn es um bestimmte Ausgaben geht. So sehr, dass einige davon unvorstellbare Summen wert sind, auch wenn kein einziges anderes Wort darin steht als in der billigen Taschenbuchausgabe. Bücher sind das unangefochtene Geschenk Nummer 1 zu jedem Anlass, mit einer Menge verschiedener Konnotationen. Und jedes Buch ist für jeden Leser immer anders.

Mit all dem und noch mehr beschäftigt sich "Portable Magic". Und ganz am Ende auch mit der Frage "Was ist eigentlich ein Buch?" - entweder gibt es eine sehr breite Definition, oder es wird sehr kompliziert. Auch das ist Teil der Magie.

Sehr schönes Buch. Unterhaltsam und informativ. Ich mochte, dass es mit der klassischen Zauberlehrling-Grschichte beginnt. Bis jetzt hatte ich da auch immer vor allem interpretiert, dass man wissen sollte, wie man die Geister, die man ruft, wieder loswird, bevor man sie ruft. Ms. Smith interpretiert, dass die Magie im Buch liegt. Es ist das Buch, dass die Geister beschwört, denn sie kommen, egal wer daraus liest, der weise Meister oder der unwissende Lehrling. Und das wiederung trifft den Tenor von "Portable Magic" ausgezeichnet.
blauerfalke: (erzählen)
von Emma Southon

Römische Geschichte ist von Männern geprägt und ihren Heldentaten im Krieg und im Senat. Selbst römische Sagen sind von Männern geprägt und ihren Heldentaten im Krieg und im Senat. Im Gegensatz zur griechichen Sagen, in denen ja auch immer noch mal wieder Göttinnen oder Priesterinnen oder Kindsmörderinenn vorkommen, sind römische Texte also sehr testosteronlastig. Was wiederum dazu führt, dass die Textzeugnisse über Frauen sehr spärlich sind, selten über ein paar Zeilen hinausgehen, und noch seltener einen Namen für die betreffende Frau anführen. Und wenn es einen Namen gibt, heißen sie fast immer Julia.

Das sind also die Voraussetzungen, mit denen sich Ms Southon daran gemacht hat, 21 Frauen ins Rampenlicht zu verhelfen, chronologisch durch die Geschichte des Römischen Imperiums, von 750 vor Christus bis 414 nach Christus. (Sagt man jetzt eigentlich im Deutschen da auch was anderes? Vor der Zeitenwende oder sowas?) Jedes dieser Porträts stellt die Umstände der Zeit dar, in der die betreffende Frau gelebt hat, ihr soziales Umfeld und die Intention der Textquelle(n), aus denen wir von ihr wissen. Diese reichen von halb-legendären Geschichten über Texte von Historikern bis hin zu handschriftlichen Briefen der Frauen selbst. Auch Heiligenvitae sind dabei und sogar eine Tafel aus Pompeij, auf der eine Frau ein gar nicht mal so kleines Anwesen zur Vermietung anpreist. Oder ein Gedicht auf der Seite einer Statue, das von hoher literarischer und kultureller Bildung zeugt und zudem noch auf eine Weise verfasst ist, deren Verwendung alleine es mehrdeutig macht.

Es ist auch ein Buch, das sich damit beschäftigt, was die einzelnen Texte für einen historischen Wert haben, ob sie vielleicht nur dazu gedacht sind, ein bestimmtes Bild oder bestimmte Werte zu transportieren, oder ob man daraus wichtige Informationen über das Leben, die Stellung und das generelle Umfeld der betreffenden Frau ableiten kann.

Wir wissen, dass eine Frau in Pompeji Gebäude besitzen und ihre eigenen Geschäfte führen durfte, während die Geschichsschreibung sonst immer davon spricht, dass eine Frau Eigentum eines männlichen Vormunds ist und nicht geschäftsfähig. Wir wissen, dass eine Poetin in der Entourage von Sabina, Frau des Kaisers Hadrian, in der Lage war, ein spontan wirkendes Gedicht in strikter Form nicht nur zu verfassen, sondern auch noch in Stein meißeln zu lassen (vielleicht mit der Unterstütung der Kaiserin...), und wir wissen, dass die Ehefrauen hoher Offiziere in Lagern am Hadrianswall enge Freundschaften führten und einander besuchten. Und wir kennen die Gedanken einer Christin, die im Gefängnis sitzt und am nächsten Tag in der Arena sterben wird. All das durch Texte aus eigener Hand dieser Frauen.
Natürlich wissen wir auch, dass es immer Frauen waren, die dafür verantwortlich waren, dass Kriege verloren wurden, Städte erobert und irgendwelche Kleinkinder als Kaiser auf den Thron gehievt wurden, was dann auch meistens schief ging - entweder weil die als Regentin agierende Mutter es nicht hinbekam, oder der Sohn es vermasselt hat, als er alt genug wurde, um zu übernehmen. Alles durch mehr oder weniger vertrauenswürdige Geschichtsschreibung.

Es ist also für jeden was dabei, von der reißerischen Legende bis hin zum mundanen Alltagsgeschehen. Bekannte Geschichte, aus einem anderen Blickwinkel gesehen. Und in unterhaltsamem, lebendigem und humorvollem, auch gerne mal ironischem Ton erzählt.

Lohnt sich.

Londoners

Jun. 19th, 2025 02:58 pm
blauerfalke: (erzählen)
The Days and Nights of London now - As Told by Those Who Love It, Hate It, Live It, Left It and Long for It

von Craig Taylor

Mr. Craig ist Kanadier, aber er lebt in London. Also erklärt er in der Einführung erstmal, wie es dazu kam und warum er das tut. Und dann folgen gut 400 Seiten Texte von und über Menschen, die das auch tun/taten/tun wollen/nicht mehr tun wollen. Eben das, was sie mit London verbinden. Einige Texte sind Berichte, andere in der Ich-Form der Erzähler mit oder ohne ergänzende Beschreibungen und einige sind Interviews nur in wörtlicher Rede. Die Bandbreite reicht vom CEO eines Millarden-Konzerns bis hin zum Obdachlosen, vom geborenen Londoner bis zu Menschen, die nur für ein paar Jahre zum Arbeiten da sind, und alles dazwischen. Ich glaube, das einzige, was fehlt, ist ein hoher Geistlicher egal welcher Religion...
Und jeder Text hat natürlich den Namen der betreffenden Person darüber.

Es ist bunt, es ist facettenreich, es ist menschlich. Es zeigt die Faszination der Großstadt und den Tribut, den sie fordert. Es zeigt die Glorie einer so lang zurückreichenden Geschichte und ihren Fluch. Und immer wieder kommt es auf das berühmte Zitat von Samual Jackson zurück: "When a man is tired of London he is tired of life; for there is in London all that life can afford." Egal, ob der/diejenige London hasst oder liebt - die meisten lieben es. Zumindest so grundsätzlich, auch wenn sie dann die ganze Zeit darüber sprechen, wie furchtbar es ist.

Das andere, was immer wieder betont wird, ist, unterschiedlich Londons Stadtteile sind. London ist eine Stadt, die sich ausgebreitet hat und immer mehr Dörfer eingestrudelt hat, die alle noch nicht gemerkt haben, dass sie jetzt Teil einer Stadt sind. Das ist etwas sehr Essentielles im Londoner Stadtbild, und auch etwas sehr charakteristisches für die Stadt. Es scheint auch dazu zu führen, dass viele Leute ihre "Dörfer" niemals verlassen, um in die anderen zu gehen... damit hatte ich nicht gerechnet.
Auch hatte ich nicht damit gerechnet, wie lange London noch voller Bombenruinen war. Nicht nur in den Docklands, das wusste ich, weil ich mich daran erinnern kann, dass Canary Wharf gerade fertiggestellt wurde, sondern auch weit näher am Zentrum. Immer wieder tauchen die Ruinen an der Südseite der Themse in Erzählungen auf, wenn Menschen aus den 70ern und 80ern berichten.

Einige Geschichten sind sehr typisch London, andere könnten so auch in anderen Großstädten spielen - aber das ist nicht verwunderlich, denn schließlich gibt es Dinge, in die jeder Großstadt genauso funktionieren müssen, rein von der Logistik her. Darum ist es gut, das sie drin sind, um genau das zu zeigen.

Schönes Sammelsurium, das in seinen besten Momenten viel Lokalkolorit und Flair entwickelt.
blauerfalke: (erzählen)
von Sangeet Duchane

(nein, ich weiß nicht, warum das "der" klein geschrieben ist)

Das Buch ist klein und quadratisch, es hat etwa 150 Seiten und auf jeder Doppelseite ist eine Seite Text und eine Seite eine Abbildung, entweder von Kunstwerken aus allen Epochen, oder von Schalen, Kelchen, etc (mögliche Gräle?). Es ist also naturgemäß recht wenig Text. Was da ist, klärt erst einmal wichtige Fragen wie "Was ist der Gral?" - nein, da herrscht keine Einigkeit - "Wer trägt den Gral?" - da schon eher. Dann folgt die historische Eindordnung, übersichlich und praktisch beginnend bei den Kreuzzügen, der Bruderschaft vom Berg Zion und natürlich den Templern, weiter mit den Katharern und weniger vorhersehbar mit der Hohen Minne und den Troubadouren. Und als Abrundung der Parizval von de Troyes und von Eschenbach und "le Morte d'Arthur" von Malory als Beispiele von Gralsgeschichten.
Pluspunkt für die Verweise darauf, dass Parzival deutliche Gemeinsamkeiten mit der Peredur-Geschichte aus dem Mabinogion hat, also von älteren, nicht christlichen Gesschichten insporiert ist/sein könnte. Denn auch der Gral ist nicht an sich zwangsweise eine christliche Geschichte, er ist nur dazu geworden.
Abzug dafür, dass ich es didaktisch besser gefunden hätte, erst die Geschichte zu erzählen und sie dann zu interpretieren, anstatt andersrum, wie es das Buch macht.

Und dann kommt der letzte Bereich, und es wird klar, warum sie die keltischen Bezüge und die Katharer bringen mussten - das Buch unterstützt die Sangreal-Theorie. Der Gral ist eine Frau, Maria Magdalena, und damit die Blutslinie Jesu. Dazu wird die bekannte Argumentation bemüht, über die Bruderschaft vom Berg Zion und da Vinci bis zu den Freimaurern, aber positiverweise ergänzt um genauere Erklärungen zur Person von Maria Magdalena, sowohl in den kanonischen Büchern der Bibel als auch in apokryphen Texten, und dass ihre Gleichsetzung mit der namenlosen gefallenen Frau willkürlich ist. Oder auch nicht, falls es darum geht, den Namen einer wichtigen frühen Glaubenslehrerin in den Dreck zu ziehen, weil man Frauen nicht unter seinen Glaubenslehrern haben will.

Kompakt, informativ, schnell in ein bis zwei Stunden zu lesen. Manchmal ein bisschen verworren, aber dafür hat es halt auch Kunst zum Ansehen. Gut als Übersicht zum Thema und für zeitliche Einordnung des Gralsthemas.

Profile

blauerfalke: (Default)
blauerfalke

June 2025

S M T W T F S
1234567
891011121314
15161718 192021
22232425262728
2930     

Most Popular Tags

Style Credit

Expand Cut Tags

No cut tags
Page generated Jun. 19th, 2025 09:39 pm
Powered by Dreamwidth Studios